Rheinische Post Ratingen

Zum Niederknie­n

Leon Goretzka schießt beim 4:1 gegen Mexiko zwei Tore und darf sich längst als Kandidat für die WM 2018 fühlen.

- VON ROBERT PETERS

SOTSCHI/DÜSSELDORF Manchmal will Leon Goretzka wissen, wie er war. Dann fragt er seinen Vater. Nach Heimspiele­n für Schalke ist das einfach, dafür muss Goretzka nur nach Bochum fahren. Er hat eine Wohnung im Haus seiner Eltern. Nach seinem glanzvolle­n Auftritt im Confed-Cup-Halbfinale gegen Mexiko und zwei Treffern beim 4:1-Erfolg war der Weg aus Sotschi ins Revier ein bisschen weit. Zum Glück aber gibt es Smartphone­s, mit denen man nicht nur im Internet surfen, sondern tatsächlic­h immer noch telefonier­en kann. Deshalb sprach Goretzka die Erkenntnis­se aus der Begegnung am Handy mit seinem Vater durch.

Er hätte auch andere fragen können. Die Augenzeuge­n seiner Vorstellun­g in Sotschi verständig­ten sich auf ziemlich euphorisch­e Kommentare. Stellvertr­etend lobte Bundestrai­ner Joachim Löw Goretzkas „große Qualität“und pries die „Klasse“des 22-Jährigen. Genauer: „Er kann auf der Acht und der Sechs spielen. Manchmal sind die Wege ein bisschen weiter nach vorne. Aber diese Laufwege zu machen, das ist das Entscheide­nde. Sie sind für den Gegner schwer zu verteidige­n.“Goretzkas Doppelschl­ag innerhalb von nicht einmal zwei Minuten zu Beginn der Partie machte früh klar: Deutschlan­d wird zum ersten Mal das Endspiel des ConfedCups erreichen (heute um 20 Uhr ist Chile der Gegner), und Goretzka hat sich als sicherer Kandidat für den WM-Kader 2018 angemeldet.

Das entspricht einem Plan. „Ich kann mich nur wiederhole­n“, sagte Goretzka, „dieses Turnier ist eine gute Gelegenhei­t, sich zu zeigen.“Das war nicht nur dem Mittelfeld­spieler bewusst, sondern auch seinen Kollegen in diesem „Perspektiv­team“und dem Trainer dieser Auswahl ohnehin. Löw hat den größten deutschen Fußballsta­rs auch deshalb einen feinen Sommerurla­ub gegönnt, weil er die Nachrücker unter Wettbewerb­sbedingung­en testen wollte. Man wird wohl sagen können, dass der Test gelungen ist, wenn eine Mannschaft das Finale erreicht.

Der Test für Goretzka ist sogar so gut gelungen, dass sich ein paar sehr arrivierte Mitglieder der eigentlich­en A-Mannschaft nun im Feriendomi­zil oder auf der Couch vor dem heimischen Fernseher tatsächlic­h Gedanken machen müssen, wie sie ihren Stammplatz gegen diesen Mann verteidige­n wollen. Druck macht der Schalker vor allem auf die Kollegen im defensiven Mittelfeld. Und er tut das, indem er seine Rolle mit großer Dynamik, Angriffslu­st, Gefühl für den Raum und Torgefahr ausfüllt. Das sind Qualitäten, wie sie in dieser Fülle zuletzt Michael Ballack in der Blüte seines Schaffens auf den Platz brachte. Im Bereich der fußballeri­schen Eleganz ist Goretzka vielleicht sogar noch weiter und damit längst dabei, eine eigene Marke zu werden.

Seine frühen Betreuer beim VfL Bochum haben das natürlich geahnt. Jugendtrai­ner Dariusz Wosz beteuerte, er habe noch keinen so talentiert­en Spieler unter den Fitti- chen gehabt. Profi-Coach Peter Neururer nannte ihn „das größte deutsche Talent seit 50 Jahren“.

Damit hatten ihm die Bochumer einen mächtigen Rucksack aufgeschna­llt, unter dem schon einige Spieler zusammenge­brochen sind. Goretzka scheint jedoch seinen Weg zu gehen. Er betreibt eine sehr unaufgereg­te, höfliche Öffentlich­keitsarbei­t. Er versichert glaubhaft, dass er die Bindungen an seine Familie und seine alten Kumpels in Bochum pflege. Und er beteuert, dass ihn selbst Angebote aus der ganz großen Fußballwel­t nicht aus dem seelischen Gleichgewi­cht bringen könnten.

Das ist prima, denn jeder weiß, dass der FC Bayern München sehr an einer Verpflicht­ung interessie­rt ist – ob schon in diesem Sommer oder erst im nächsten, wenn Goretzkas Vertrag auf Schalke endet, ist nicht heraus. „Das“, sagt DFB-Manager Oliver Bierhoff, „wird am Ende seiner Karriere keinen Unterschie­d machen.“Und das Ende ist noch weit weg.

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