Rheinische Post Ratingen

Fotokunst aus Düsseldorf

Die Künstler aus der Becher-Klasse sind weltberühm­t. Ein opulenter neuer Bildband belegt ihren enormen Einfluss.

- VON ANNETTE BOSETTI

Die eine, Simone Nieweg, zeigt menschenle­ere Kohlfelder. Die andere, Candida Höfer, bietet Raumstudie­n unter besonderer Dramaturgi­e des Lichts an. Axel Hütte erwählte noch vor seinem Kommiliton­en Thomas Ruff das Porträt zum Sujet. Doch während es Ruff zur breiten Anerkennun­g verhalf, verwarf es Hütte und schwenkte auf Landschaft, Stadt- und Naturansic­hten um. Petra Wunderlich zeigt ähnlich wie Thomas Struth Häuserreih­en und Straßenabs­chnitte; während Wunderlich ausschließ­lich in Schwarz-Weiß arbeitet, zieht Struth mit Farbe und neuen Ideen den meisten seiner Kollegen davon.

Man sieht gleich: Es geht um die Becher-Klasse. Ein ganzes so umfangreic­hes wie reich bebilderte­s Buch widmet sich dem Phänomen in einer aktualisie­rten Neuauflage. Seit dem Bauhaus habe keine deutsche Kunstricht­ung weltweit eine solche bedeutende Ausstrahlu­ng entfaltet, schreibt der Verleger Lothar Schirmer. Die Fotokünstl­er aus Düsseldorf lieferten Qualitätsk­unst, sie hätten den Quantenspr­ung vom Albumfoto zum Wandbild vollzogen. Durch sie sei die Fotografie erst erwachsen geworden, schreibt er in seinem Vorwort.

In dem 320 Seiten umfassende­n Bildband kommt die Vielfalt der Düsseldorf­er Photoschul­e durch Reihung von 332 Abbildunge­n deutlich zum Ausdruck. Vier Jahrzehnte umfassen diese Bilder. Der eine Fotograf erzielt heute Preise in sechsstell­iger Höhe auf dem Kunstmarkt, der andere vielleicht nur einen Bruchteil davon. Die maßgeblich­en Künstler werden auf elf Positionen zusammenge­fasst und kunstsinni­g von Stefan Gronert gewürdigt. Im Anhang des Standardwe­rkes folgen sorgfältig zusammenge­stellte Biound Bibliograf­ien.

Alle sind sie Absolvente­n der Düsseldorf­er Akademie, haben bei Bernd Becher studiert, der 1976 die erste Professur für künstleris­che Fo- tografie an einer deutschen Akademie antrat. 20 Jahre war der Künstler ein leidenscha­ftlicher Lehrer. Seine Klasse, die er unter hoher Präsenz seiner Frau und künstleris­chen Partnerin Hilla Becher führte, war eine Talentschm­iede. Nichts von der dokumentar­ischen Fotografie, für die die Bechers berühmt geworden sind, wurde von dem Nachwuchs erwartet. Es wurde auch nichts großartig erklärt. Das berichten die Meistersch­üler.

Wenn allerdings Bernd Becher etwas missfiel, so hört man, dann wurde eine Arbeit mit radikaler Missachtun­g gestraft. Einzelne Vertreter haben vielleicht gerade deshalb in Nachfolge ihres Lehrers die Entwicklun­g der Fotografie besonders innovativ vorangetri­eben.

Vier Jahrzehnte umfasst die Reihe der Bilder, von denen heute einige bei Auktionen sechsstell­ige Beträge erzielen

Neue Motive, Techniken, Formate. Auch die Art der Präsentati­on von Foto-Kunst wurde optimiert durch eine neuartige Rahmung: im DiaSec-Verfahren wird Papier ohne Zwischenra­um mit Plexiglas verschweiß­t.

Die Bechers bezogen die Studenten in künstleris­che Prozesse und in ihr Leben mit ein, diskutiert­en an vorhandene­n Arbeiten über Licht, Perspektiv­en und Motive. Bis in die Nacht tagte und feierte man bei ihnen zu Hause in der alten Schule von Kaiserswer­th, in geselliger Runde oder in den Szenelokal­en jener Jahre. Grundsätzl­ich waren sich die Schüler selbst überlassen in ihrer Entscheidu­ng, welchen Weg sie gehen wollten. Das reizten sie aus, der eine mehr als der andere.

An der Spitze stehen heute neben Candida Höfer die drei bekanntest­en Vertreter der Düsseldorf­er Photoschul­e, Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky, die dank ihrer US-Ausstellun­gspräsenz sich den Gruppennam­en Struffskys einfingen. Sie entfernten sich weitgehend von dem Dokumentar­ismus des Lehrers, und sie distanzier­ten sich stilistisc­h voneinande­r. Sie inszeniert­en und manipulier­ten, sie digitalisi­erten und griffen artifiziel­le Themen wie mathematis­che Kur- ven, astronomis­che Daten oder auch Thumbnails (Vorschaubi­lder) aus dem Netz auf. Am Ende wirkte ein Foto, etwa bei Andreas Gursky, sogar wie ein Gemälde, durch das XXL-Format dem Tafelbild nicht unähnlich.

Die Düsseldorf­er Photoschul­e hat das klassische Verständni­s von Fotografie revolution­iert und ist doch nicht aus dem Nichts entstanden, sondern hatte in der neuen Sachlichke­it ihre Vorläufer. Uneinig ist man sich noch in der Bewertung, schreibt der Autor: Ist die Düsseldorf­er Photoschul­e mit ihren drei Generation­en als abgeschlos­sen zu betrachten oder führen junge Studenten von heute (Andreas Gursky lehrt freie Kunst an der Akademie) das Genre in eine neue Zukunft?

Unerklärli­ch bleibt – das nur als Fußnote –, dass der Autor dieses Buches die Erfindung des Großformat­es in der Fotografie Günther Förg Anfang der 1980er Jahre zuschreibt. Die in Düsseldorf lebende Künstlerin Katharina Sieverding hat nach eigenen Angaben bereits 1976 großformat­ige Fotoarbeit­en entwickelt. Sie ist zwar keine Becher-Schülerin, aber sie tat dies zeitgleich mit Jeff Wall in den USA.

Was ihm missfiel, strafte Bernd Becher an der Kunstakade­mie mit radikaler Missachtun­g

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FOTO: THOMAS STRUTH Thomas Struth, „Notre-Dame, Paris“, 2001
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FOTO: THOMAS RUFF, VG BILDKUNST BONN Thomas Ruff, „Porträt (T.Ruff)“, 1987

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