„Malles“hübsche kleine Schwester
Auf Menorca wird sanfter Tourismus großgeschrieben. 1993 zeichnete die Unesco die Baleareninsel als Biosphärenreservat aus. Speziell im Süden Menorcas liegen traumhafte Strände – ohne Bettenburgen.
Der Weg ist buchstäblich ein steiniger – zumindest teilweise. In Flip-Flops sollten die knapp drei Kilometer von Cala Galdana, einem Ferienort an der gleichnamigen Badebucht an der Südküste Menorcas, zur malerischen kleinen Bucht Cala Macarella daher nicht in Angriff genommen werden. Die kleine Mühe lohnt sich auf alle Fälle: Der Weg führt durch duftende Pinienwälder entlang der Felsküste und bietet atemberaubende Ausblicke aufs türkisfarbene Meer. Über steile Holztreppen geht’s danach runter zur feinsandigen Bucht, die nicht direkt mit dem Auto zu erreichen ist – in direkter Nachbarschaft liegt die kleinere Bucht Cala Macarelleta.
Am Strand wächst eine Menge Seegras. „Das ist ein Indiz für sauerstoffreiches Wasser“, erklärt Matthieu Nieuwland. Der 42-jährige Belgier hatte zunächst in einer Bank gearbeitet, ehe er auf Weltenbummler umsattelte – hängengeblieben ist er vor 14 Jahren dann auf Menorca. Die Insel hat ihren Namen in direkter Anlehnung an die große Schwester Mallorca bekommen. Menorca, abgeleitet vom Lateinischen „Minor“, ist von den beiden eben die kleinere Baleareninsel: Auf einer Fläche von 700 Quadratkilometern wohnen gerade einmal 90.000 Einwohner – Mallorca ist gut fünfmal so groß und hat fast zehnmal so viele Einwohner.
Und noch ein gewaltiger Unterschied: Ballermanntourismus gibt’s auf Menorca nicht. Stattdessen ist „Die Kleinere“vom sanften Tourismus geprägt – und hat es in der Geschichte nicht immer leicht gehabt: „Spaniens Diktator Franco mochte die Insel nicht, da sie republikanisch eingestellt war“, sagt Nieuwland. Und erst 1969 wurde das erste Hotel gebaut – ausgewachsene Bettenburgen gibt’s auf der Insel weiterhin so gut wie nicht.
Was auch ausdrücklich so gewollt ist. 1991 wurden gut 40 Prozent der Insel unter Naturschutz gestellt und zur nicht bebaubaren Fläche erklärt. Zwei Jahre später zeichnete die Unesco die Insel als Biosphärenreservat aus – in Anerkennung der nachhaltigen Entwicklung, bei der Wachstum und Schutz des Ökosystems vereinbar bleiben.
Bei den großen Felsen, die die Cala Macarella umfassen, fallen die vielen Höhlen auf: „Einige von denen sind von Juni bis September bewohnt – von Naturliebhabern und einer Art Hippies, wie das in den 70er Jahren auf Ibiza war“, merkt Nieuwland an.
Von der Bucht geht’s über denselben Pfad zurück nach Cala Galdana. Der Weg ist Teil des 185 Kilometer langen Camí de Cavalls, des Pferdewegs also, der entlang der gesamten Küste Menorcas verläuft. Den Namen verdankt er – wie so vieles – einer ursprünglich militärischen Nutzung: Patrouillen ritten auf ihm zur Sicherung der Insel. Nachdem Teile des Weges in Vergessenheit zu geraten drohten, unternahmen die Menorquiner große Anstrengungen, ihn komplett wiederherzustellen.
Seit 2010 ist er in seiner vollen Länge wieder begehbar, eingeteilt in 20 Tagesetappen. Verlaufen kann man sich auf dem Camí de Cavalls nicht – Orientierung bieten die in kurzen Abständen am Wegesrand montierten dunkelroten Markierungsplättchen. Und abwechslungsreich ist der Weg auch. Liegen die schönsten Strände überwiegend im Süden der Insel, so geht’s im Norden wilder zu – mit schroffen Felswänden und steifen Brisen, die speziell auch Windsurfer und Segler sehr schätzen.
Den gesamten Pferdeweg gegangen ist Ronald Fritz (64). Ronald Fritz, seit 34 Jahren auf dieser Mittelmeerinsel lebend Der gebürtige Wiener lebt seit 34 Jahren auf Menorca und kennt die Insel wie seine Westentasche – samt interessanter wirtschaftlicher Hintergründe. So sei Menorcas Grund und Boden weitgehend im Besitz von fünf Familien, die weiterhin einem feudalen Pachtsystem für ihre Ländereien frönten: „Alle fünf Jahre wird der Vertrag mit einem Pächter verlängert. Anstehende Renovierungskosten übernimmt der Verpächter zur Hälfte, partizipiert dafür umgekehrt in den folgenden fünf Jahren zur Hälfte auch an den Einnahmen.“
Im Westen und Osten wird der Camí de Cavalls von den beiden menorquinischen Städten flankiert – im Westen von der ursprünglichen Hauptstadt Ciutadella, im Osten von der jetzigen Hauptstadt Mahón. Die beiden Städte unterscheiden sich enorm. Ciutadella erinnert mit seinen vielen verwinkelten Gassen ein wenig an Barcelona – Katalanisch ist auch heute noch Amtssprache auf Menorca.
In Mahón dagegen ist der britische Einfluss unübersehbar, wovon die vielen Gebäude im Kolonialstil zeugen. 1722 hatten die Briten während ihrer Inselherrschaft Mahón zur Kapitale gemacht – natürlich aus militärischen Gründen. Denn dort gibt es einen der weltweit größten Naturhäfen überhaupt: ein 5,5 Kilometer langer und bis zu 1,2 Kilometer breiter fjordartiger Einschnitt, in dem Englands gesamte Kriegsflotte anlegen konnte.
Der britische Einfluss mache sich bis heute zudem in einer kuriosen Wortschöpfung bemerkbar, berichtet Fritz schmunzelnd. Denn eine spezielle Pflaumenart heiße hier Neversó. Deren Name gehe auf den englischen Gouverneur Richard Kane zurück, der beim Anblick dieser Frucht gesagt haben soll: „I never saw such plums“(„Ich habe noch nie solche Pflaumen gesehen“).
„Menorcas Grund und Boden ist weitgehend im Besitz von fünf Familien“
Die Redaktion wurde von Rhomberg Reisen zu der Reise eingeladen.