Rheinische Post Ratingen

Das Ende der Harmonie

Dieser Gipfel ist einer der schwierigs­ten für Angela Merkel. Keiner der G 20 soll düpiert werden, aber zu viel Konzilianz ist auch gefährlich.

- VON MARTIN KESSLER UND EVA QUADBECK

HAMBURG Ein Prinzip von Angela Merkels Außenpolit­ik ist es, den Standpunkt ihres Gegenübers genau zu studieren, zu wägen und nach Punkten zu suchen, wo sie ihm entgegenko­mmen kann. Ihre Geduld dabei ist legendär. Am Vorabend des G20-Gipfels in Hamburg sieht es aber danach aus, als seien Merkel ihre Standpunkt­e in Fragen des Weltklimas und des Freihandel­s wichtiger als Harmonie.

Diese Linie zeichnet sich seit ihrer Regierungs­erklärung vor einer Woche ab, in der sie ungewohnt klar Position bezog. „Wer glaubt“, sag- te Merkel, „die Probleme dieser Welt mit Isolationi­smus und Protektion­ismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum.“Diese Aussage war auf Donald Trump gemünzt, dessen Unterhändl­er bislang keiner Formulieru­ng für einen freien, fairen, regelbasie­rten Welthandel zustimmen wollten. Merkels Leute haben bereits Vorschlag um Vorschlag geschickt. Das Weiße Haus lässt sich nicht bewegen. Merkel selbst sprach im Vorfeld von G20 von der „Quadratur des Kreises“.

Die harten Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Demonstran­ten, die diesen Gipfel in Hamburg begleiten, wirken wie ein Symbol, dass dieses Treffen eines der schwierigs­ten in Merkels Amtszeit wird. Die Kanzlerin steht auch innenpolit­isch unter Druck. Der USPräsiden­t ist in Deutschlan­d sehr unpopulär. Zu viel Entgegenko­mmen könnte Merkel im Wahlkampf schaden. Gleiches gilt im Verhältnis zu Putin, Erdogan und dem chinesisch­en Staatschef. Dass ausgerechn­et der Chinese Xi bei diesem Gipfel Merkels Verbündete­r werden könnte, zeigt, wie schwierig der Kreis der Gesprächsp­artner ist.

Am Abend vor dem offizielle­n Start des Gipfels wollte Merkel mit ihren beiden komplizier­testen Gästen zusammentr­effen. Am frühen Abend saß sie mit Trump im Hotel „Atlantic“zusammen. Die Themen: Freihandel und Klima. Tagsüber war der US-Präsident in Polen, wo er von Anhängern der rechtskons­ervativen und europakrit­ischen PiS-Partei jubelnd empfangen worden war. Trump umschmeich­elte die Polen, die sich in Europa mehr und mehr isolieren. Der Auftritt wirkte wie ein Versuch, einen neuen Keil in die EU zu treiben und gegenüber Russland, das die Polen als Bedrohung sehen, die Muskeln spielen zu lassen.

Anschließe­nd stand das Treffen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Merkels Kalender. Auch mit der Türkei gab es Klimafrage­n zu besprechen – aber nicht ökologisch­er Art. Vielmehr ist das deutsch-türkische Verhältnis so zerrüttet, dass schon die Verabredun­g zum bilaterale­n Treffen eine Nachricht ist. Erdogan hatte vor seiner Ankunft in Hamburg Stimmung über die Wochenzeit­ung „Die Zeit“gemacht. Deutschlan­d begehe Selbstmord, befand der Präsident wegen der Tatsache, dass die Bundesregi­erung ihn nicht öffentlich auftreten lässt. Auch bei Erdogan war Merkel zuletzt stets hart geblieben. Durch das türkisch-europäisch­e Flüchtling­sabkommen gibt es aber gegenseiti­ge Abhängigke­iten.

Morgen, wenn der Gipfel in Hamburg endet, wollen die wichtigste­n 20 Industrie- und Schwellenl­änder ein gemeinsame­s Papier mit ihren Zielen für das kommende Jahr unterschre­iben. Mehr als ein Dutzend Seiten soll das Papier nicht umfassen. Es soll Aussagen enthalten zur Finanzmark­tregulieru­ng, zu globalen Steuern, zur Digitalisi­erung im Finanzwese­n und zur internatio­nalen Finanzarch­itektur. Bei Klimaschut­z und Freihandel droht, dass man sich nur darauf einigen kann, sich nicht zu einigen. Eine solche Aussage dürfte der Kanzlerin lieber sein, als dass einer der Teilnehmer isoliert den Gipfel verlässt.

Einigungen gelten indes beim Kampf gegen Fluchtursa­chen und bei kleineren Themen als wahrschein­lich. Dabei geht es um Teilhabe, Frauenförd­erung, die Verhinderu­ng von Finanztran­saktionen zur Unterstütz­ung des Terrors und die Vermüllung der Meere. Merkel trifft sich vor dem Gipfel auch mit Vertretern der Weltbank und mit der USPräsiden­tentochter Ivanka Trump. Von diesen Treffen könnte der Impuls ausgehen, den schon vor dem Gipfel geplanten Fonds für Unternehme­rinnen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern an den Start zu bringen. Auch die Bekämpfung des internatio­nalen Terrorismu­s und seiner Finanzieru­ng stößt bei den wichtigste­n Staatenlen­kern der Welt auf Konsens. Eine internatio­nale Arbeitsgru­ppe erarbeitet aktuell Maßnahmen, um solche Finanzströ­me aufzudecke­n und abzustelle­n, ohne den internatio­nalen Geldverkeh­r zu sehr zu stören.

In Zeiten, da die Welt „in Unruhe“ist, wie es Merkel ausdrückt, stehen neben der offizielle­n Agenda des Gipfels auch weltpoliti­sche Konflik- te wie die Ukraine-Krise, die Aggression Nordkoreas und die neuen Spannungen am Golf zur Beratung an. Ein wichtiges Treffen wird die Dreierrund­e zwischen Merkel, dem neuen französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und Russlands Machthaber Wladimir Putin sein, in der es um den Ukraine-Konflikt geht. Macron soll in das sogenannte Normandie-Format eingebunde­n werden – jenen Prozess der Friedens- und Waffenstil­lstandsbem­ühungen, zu dem auch der ukrainisch­e Präsident Poroschenk­o gehört.

Gegenüber Nordkorea dürften die großen Mächte den Konsens suchen, obwohl Trump die chinesisch­e Staatsführ­ung im Vorfeld für die Raketenver­suche des kommunisti­schen Staates mitverantw­ortlich macht.

Dass ausgerechn­et China zum Verbündete­n wird, zeigt, wie schwierig der Kreis der Teilnehmer ist

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FOTO: DPA Am Abend setzte die Polizei Wasserwerf­er gegen die linksauton­omen Demonstran­ten ein.
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FOTOS: REUTERS FOTO: IMAGO Ein Polizist ergreift einen Demonstran­ten, (l.), Szene aus dem Umfeld des Protestzug­s. US-Präsident Donald Trump und seine Frau Melania nach ihrer Ankunft mit Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz.
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