Rheinische Post Ratingen

Als Bungert Tennis zum Volkssport machte

Heute vor 50 Jahren erreicht der erste Deutsche nach dem Krieg ein Wimbledon-Finale. Es folgt ein Tennis-Boom.

- VON DIETER KODITEK

DÜSSELDORF Sein größter sportliche­r Erfolg fiel in das letzte Jahr, in dem die Tennis-Welt noch in Amateure und Profis unterteilt war. Das ist ein halbes Jahrhunder­t her. Am 7. Juli 1967 erreichte Wilhelm Bungert als erster deutscher Spieler nach dem Krieg das Endspiel in Wimbledon. Der Titel blieb ihm versagt. Bungert unterlag dem Australier John Newcombe glatt in drei Sätzen – nicht zuletzt auch, weil er zuvor drei kraftraube­nde Fünf-Satz-Matches zu bestehen hatte.

Bungert war damals 28 Jahre alt. Am 1. April vollendete der Frontmann des berühmten Tennis-Jahrgangs 1939 das 78. Lebensjahr. Seine Altersgeno­ssen, die im selben Jahr geboren wurden, sind Dieter Ecklebe, Christian Kuhnke, der nur 13 Tage jünger ist, und Wolfgang „Paule” Stuck. Sie prägten gemeinsam mit dem zwei Jahre jüngeren, viel zu früh verstorben­en Ingo Buding eine Generation, die dem deutschen Tennisspor­t nach der Ära Gottfried von Cramm erstmals wieder Weltgeltun­g verschafft­e.

Bungerts Husarenrit­t auf den berühmten Rasenplätz­en im Londoner Südwesten zog seinerzeit einen ungeahnten Boom nach sich, der den Wandel des einstmals weißen Sports vom elitären Freizeitve­rtreib für Begüterte hin zum Volkssport vehement förderte. Jahrelang registrier­te der Deutsche Tennis Bund zweistelli­ge Mitglieder-Zuwachsrat­en. Ohne diese Entwicklun­g wäre die große Ära mit Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich in den 80er- und 90er-Jahren, in denen Bungert vorübergeh­end auch als Davis-Cup-Kapitän fungierte, vielleicht gar nicht möglich gewesen.

Drei Jahre später, 1970, griff erstmals auch eine deutsche DavisCup-Mannschaft – angeführt von Bungert – nach der begehrtest­en Mannschaft­s-Trophäe. In einer spektakulä­ren Begegnung des Interzonen-Finales mit den Spaniern um die legendären „Manolos“, Santana und Orantes, hatte sich das DTBQuartet­t für die damals noch übliche Herausford­erungsrund­e (Challenge Round) mit dem Titelverte­idiger USA qualifizie­rt.

Die Auseinande­rsetzung mit den Spaniern fand im Düsseldorf­er Rheinstadi­on statt, das seinerzeit gerade für die Fußball-WM 1974 umgebaut wurde. In einer Kurve der riesigen Arena war binnen weniger Tage ein Asphaltpla­tz errichtet und zu zwei Seiten mit provisoris­chen Tribünen umgeben worden. Wilhelm Bungert, mit 43 Einsätzen noch heute mit Abstand deutscher Davis-Cup-Rekordspie­ler, hatte sich für diese Variante ausgesproc­hen. Buchstäbli­ch bis zum ersten Ballwechse­l wurde an dem Tennisstad­ion in der Fußball- und Leichtathl­etik-Arena gewerkelt.

Der Griff nach dem Davis Cup, auch als hässlichst­e Salatschüs­sel der Welt bezeichnet, ging dann allerdings gründlich daneben. Das deutsche Quartett mit Wilhelm Bungert, Christian Kuhnke, Ingo Buding, der als Playing Captain fungierte, und dem Nachwuchss­pieler Jürgen Faßbender hatte den vom legendären Arthur Ashe angeführte­n starken Amerikaner­n nichts entge- genzusetze­n und ging in Cleveland sang- und klanglos mit 0:5 unter. Aber Deutschlan­d war wieder wer in der großen Tennis-Welts.

Wilhelm Bungert, Sohn eines Mannheimer Bau-Unternehme­rs, war noch ein lupenreine­r Amateur. Oftmals arbeitete er bei Davis-CupBegegnu­ngen oder Turnieren in seinem Rochusclub, dessen Mitglied er seit über fünf Jahrzehnte­n ist, noch am Vormittag seines Einsatzes in der eigenen Sportartik­el-Firma, packte Kisten für den Versand und empfing Kunden.

So erklärte sich vielleicht die Unbeständi­gkeit seines Spiels. Mal Weltklasse, mal Kreisklass­e – so kennzeichn­eten es die Medien. Die Zeitung mit den großen Buchstaben verlieh ihm den Spitznamen “Grusel-Willi”, weil er das Publikum mit seinen schwankend­en Leistungen ständig über eine Achterbahn der Gefühle führte. Bungert war ein reiner Instinktsp­ieler, ein Künstler, der die unmöglichs­ten Schläge hervorzuza­ubern vermochte, im nächsten Moment aber auch die einfachste­n Fehler produziert­e.

Noch heute arbeitet er mit Tochter Nicole in seinem Tennis-Zentrum am Hildener Autobahnkr­euz und begrüßt seine Gäste. Seit Jahren schon führt er mit diversen Interessen­ten Gespräche über einen Verkauf der Anlage – doch bisher ergebnislo­s. Bungert: „Wenn wir über den Preis sprechen, glauben die alle, ich hätte etwas zu verschenke­n.“Zum Deutschen Tennis-Bund, dessen Aushängesc­hild er jahrelang war, gibt es keinerlei Kontakt mehr. Bungert süffisant: „Ich denke, dort weiß gar keiner mehr, dass es mich einmal gegeben hat.“

 ?? FOTO: DPA ?? Der ungesetzte Wilhelm Bungert beim Wimbledon-Turnier 1967: Er steht 27 Sätze in den sechs Spielen vor dem Finale auf dem Rasen, Endspielge­gner John Newcombe, an Nummer drei gesetzt, nur 20.
FOTO: DPA Der ungesetzte Wilhelm Bungert beim Wimbledon-Turnier 1967: Er steht 27 Sätze in den sechs Spielen vor dem Finale auf dem Rasen, Endspielge­gner John Newcombe, an Nummer drei gesetzt, nur 20.
 ?? FOTO: DPA ?? Einwohner seiner Heimatgeme­inde Hochdahl bereiten Wilhelm Bungert nach den tollen Tagen von Wimbledon einen begeistern­den Empfang.
FOTO: DPA Einwohner seiner Heimatgeme­inde Hochdahl bereiten Wilhelm Bungert nach den tollen Tagen von Wimbledon einen begeistern­den Empfang.

Newspapers in German

Newspapers from Germany