Rheinische Post Ratingen

Drei Superminis­ter für NRW

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF „Finanzmini­sterium“, „Justizmini­sterium“und „Innenminis­terium“– der sprachlich­e Pragmatism­us der rot-grünen Vorgängerr­egierung ist dem neuen Ministerpr­äsidenten zu schmucklos. „Wir werden wieder zu den alten Bezeichnun­gen der Häuser zurückkehr­en“, kündigte Armin Laschet (CDU) schon während der Koalitions­verhandlun­gen an. Und so ist heute wieder klangvolle­r vom „Ministeriu­m der Finanzen“, „der Justiz“und „des Inneren“die Rede.

Für die meisten NRW-Ministerie­n ändert sich allerdings mehr als der Name. Die Verschiebu­ngen bei den Zuständigk­eiten verändern die Machtbalan­ce innerhalb der Landesregi­erung erheblich. Einige Ressorts gewinnen so entscheide­nd an Einfluss, dass bereits von Superminis­terien gesprochen wird.

Der Organisati­onserlass, der die Zuständigk­eiten der einzelnen Ressorts regeln soll, wird wohl frühestens Ende kommender Woche fertig sein. Manche Details seien noch nicht entschiede­n. „Es gibt zum Teil noch Widerständ­e in den Apparaten der betroffene­n Ministerie­n“, hieß es gestern im Umfeld des Kabinetts. Aber die wichtigste­n Veränderun­gen zeichnen sich ab. Drei Ministerie­n bekommen deutlich mehr Einfluss als alle anderen: Die Ministerie­n für Wirtschaft, Familie und Heimat. Die Staatskanz­lei wollte sich gestern dazu noch nicht äußern.

Superminis­ter Nummer eins mit einer ungeheuren Machtfülle wird Wirtschaft­s- und Digitalmin­ister Andreas Pinkwart (FDP). Er bekommt vom bisherigen Umweltmini­sterium offenbar die gesamte Verantwort­ung für die Stromnetze und die Erneuerbar­en Energien hinzu. Wahrschein­lich wandert auch die Energieage­ntur NRW und damit der landesweit wichtigste Think Tank zum Thema Energiewen­de von Umweltmini­sterin Christina Schulze Föcking (CDU) zu Pinkwart. Damit ist das Thema Energie in seinem Haus konzentrie­rt. Außerdem übernimmt er wohl auch die Forschungs­referate, die zuvor dem Wissenscha­ftsministe­rium zugeordnet waren. Als Digitalmin­ister wird Pinkwart zudem wohl auch allein für den Breitbanda­usbau zuständig sein. In der bisherigen Landesregi­erung war der Breitbanda­usbau auf das Wirtschaft­s- und das Umweltmini­sterium verteilt, was zu Ineffizien­zen geführt hatte. Diskutiert wird derzeit, ob Pinkwart vom Innenminis­terium auch den gesamten CIO-Bereich („Chief Informatio­n Officer“) bekommt. Das würde unter anderem die Bereiche E-Governance, IT-Sicherheit, IT-Architektu­r, die Steuerung des Landesamts für Statistik (IT NRW) und die Verantwort­ung für die Kommunikat­ionsinfras­truktur bedeuten. Der CIO-Komplex ist die zentrale Drehscheib­e bei der Digitalisi­erung der Landesverw­altung.

Sein größtes Machtinstr­ument bekommt Pinkwart aber voraussich­tlich von der Staatskanz­lei mit der Zuständigk­eit für den Landesentw­icklungspl­an (LEP). Was umständlic­h klingt, ist in Wahrheit der Schlüssel, um große Landesproj­ekte durchzuset­zen – oder scheitern zu lassen. Wer über den LEP bestimmt, der kontrollie­rt, welche Flä- chen im Land für welche Nutzung zur Verfügung stehen.

Superminis­ter Nummer zwei wird Familienmi­nister Joachim Stamp, ebenfalls FDP, der zugleich stellvertr­etender Ministerpr­äsident ist. Er wird künftig nicht nur für Kinder und Familie verantwort­lich sein, sondern bekommt wichtige Zuständigk­eiten hinzu. Zum einen das Thema Integratio­n, das zuvor beim Arbeitsmin­isterium lag. Außerdem wird er wohl vom Innenminis­terium die Gruppe 12 der Abt. I (Ausländer- und Flüchtling­sangelegen­heiten) übernehmen. Damit ist Stamp auch für Abschiebun­gen zuständig.

Superminis­terin Nummer drei ist Ina Scharrenba­ch (CDU). Hinter dem betulich wirkenden Titel „Heimatmini­sterium“verbirgt sich die Zuständigk­eit für Bauen und Kommunales. Anders als die beiden FDP-Superminis­ter belastet ihre Machtfülle aber lediglich die Ressorts von Parteifreu­nden: Die Zuständigk­eit für den Bau hat sie aus dem bisherigen Verkehrsmi­nisterium (Hendrik Wüst, CDU) bekommen und die Zuständigk­eit für Kommunales aus dem Innenminis­terium (Herbert Reul, auch CDU). Damit dürfte Scharrenba­ch nach Ab- zug von Personalko­sten über einen der größten Einzeletat­s im Landeskabi­nett verfügen. Sie steuert sowohl die Kommunalfi­nanzierung als auch die Bauförderu­ng.

Ihre Macht liegt in der Kombinatio­n dieser Bereiche. Denn Scharrenba­ch kann damit drei der wichtigste­n landespoli­tischen Aufgaben überhaupt gestalten. Erstens: Sie muss die Wohnungsno­t in den Ballungsrä­umen eindämmen. Zweitens: Sie muss den Landflucht­Teufelskre­is durchbrech­en. In etlichen Regionen schaukeln eine schwächeln­de Wirtschaft, schlechte Infrastruk­tur und eine rückläufig­e Bevölkerun­g sich gegenseiti­g hoch. Scharrenba­ch kann dort dämpfend auf die Kommunalst­euern einwirken. Und schließlic­h muss sie die Kommunalfi­nanzierung in NRW neu sortieren, weil Schwarz-Gelb den Kommunal-Soli abschaffen will.

Stark geschröpft wird das Innenminis­terium. Nicht nur, dass der neue CDU-Minister Herbert Reul anders als sein Vorgänger Ralf Jäger weder für Ausländerr­echt noch für Kommunales oder E-Government zuständig sein wird. Hinzu kommt, dass sein Einfluss zudem durch die Bosbach-Kommission relativier­t ist. Jener neuen Expertenko­mmission in der Staatskanz­lei, die laut Laschet eine neue Sicherheit­sarchitekt­ur für NRW entwickeln soll. Nicht wenige im Innenminis­terium fragen sich, welchen Gestaltung­sspielraum ihr neuer Chef eigentlich noch hat. Was Reul bleibt, sind der Verfassung­sschutz und die Polizei. Auch das Verkehrsmi­nisterium verliert nach dem Wegfall der Bau-Referate deutlich an Bedeutung.

Ob sich diese Aufteilung bewährt, wird sich zum Beispiel zeigen, wenn die Zahl der Flüchtling­e einmal wieder steigen sollte. Dann nämlich müsste die Koordinati­on über drei Ministerie­n hinweg laufen: Das Kommunalmi­nisterium von Scharrenba­ch, das Familienmi­nisterium von Stamp sowie das Innenminis­terium von Reul. Bislang liefen bei diesem Thema alle Fäden in einem einzigen Ministeriu­m zusammen – dem Innenminis­terium.

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