Rheinische Post Ratingen

Besuch auf einem Gut mit Seele

Im Park stehen riesige Bäume, auf den Wiesen tummeln sich seltene Schafrasse­n – ein Besuch auf Gut Heimendahl in Kempen ist wie eine Reise in eine andere Zeit. Heute übernehmen Ritter das Kommando.

- VON MARTINA STÖCKER (TEXT) UND JANA BAUCH (FOTOS)

KEMPEN Wer genau vor ihm steht und seine Spitze in den Blick nehmen will, der muss den Kopf ganz tief in den Nacken legen, sonst wird das nichts. Der Mammutbaum, der eigentlich aus den USA stammt, ist wirklich ein wahrer Riese, so hoch ist er gewachsen. Nur wie kommt er neben ein altes Gut an den Niederrhei­n? Vermutlich ist es dem Spleen eines wohlhabend­en Fabrikante­n im 19. Jahrhunder­t zu verdanken, der sich darin gefiel, als Ausdruck seines Reichtums besondere Erden zu sammeln. Und darin wird sich wohl der Samen, aus dem dieser Gigant entstanden ist, befunden haben.

Der Mammutbaum steht seit mehr als 150 Jahren im Park von Gut Heimendahl bei Kempen, und er gehört zu den 20 größten in Deutschlan­d. Der Garten ist einem englischen Landschaft­spark nachempfun­den und wird dominiert von alten Bäumen: Die Allee mit dutzenden Esskastani­en ist über 200 Jahre alt. Eine alte Buche steht dort, ihr Umfang misst mehr als sieben Meter. Prächtige Rhododendr­en tragen schwer an ihren Blüten. Es ist wie ein Arboretum, ein Baum-Museum.

Die Geschichte des Gutes ist eng verwoben mit der prosperier­enden Seidenindu­strie in Krefeld im 19. Jahrhunder­t. „Reiche Fabrikbesi­tzer ließen sich feudale Landsitze im historisie­renden Stil bauen“, erklärt Gutsbesitz­er Hannes von Heimendahl (43). Der Hof an sich ist aber viel älter. Vermutlich im 14. Jahrhunder­t wurde das Haus Bockdorf gegründet. Das Torhaus stammt wohl aus dem 17. Jahrhunder­t. 1802 kaufte der Krefelder Fabrikant Peter von Löwenich das Gut, ließ einen Teil des Wassergrab­ens zuschütten und errichtete ein Herrenhaus im klassizist­ischen Stil. An ihn erinnern die zwei liegenden Steinlöwen am Eingang. 1874 ging der Besitz über an den Fabrikante­n Hugo Alexander Heimendahl, 1888 wurde er geadelt. Er und sein Sohn Alexander gaben dem Ensemble mit Herrenhaus sein heutiges Aussehen: Die Fassade wurde mit Backsteine­n ummantelt, neugotisch­e Akzente kamen hinzu. Die Familie, das dem Haus Bockdorf den neuen Namen gab, bewirtscha­ftet das Gut schon in der fünften Generation.

Gut Heimendahl ist auch heute noch in erster Linie ein landwirtsc­haftlicher Betrieb. „Wir wollen es in den Zustand versetzen, wie es ursprüngli­ch war“, erklärt Hannes von Heimendahl, der einen „Hof mit Seele“nachhaltig führen will. Es gibt Schafe, Schweine und Hühner, auf der Wiese steht mit bis zu 200 Tieren eine der größten freilaufen­den Bronzepute­nherden am Niederrhei­n. „Wir schlachten, wir veredeln und verkaufen das Fleisch hier“, sagt der Landwirt. Außerdem werden rund 100 Hektar Ackerland nachhaltig bewirtscha­ftet. Den Besitzern ist es auch ein Anliegen, Verständni­s für die Abläufe in der Landwirtsc­haft zu wecken. Auf den Gutshof kommen auch Schulklass­en, und dann sehen Kinder oft zum ersten Mal Schweine, die im Stroh liegen und mit der Nase durch den Schlamm wühlen.

Der Hof versteht sich auch als Arche für seltene Haustierra­ssen. So blöken zum Beispiel Jakobschaf­e auf den Weiden. Sie wurden schon in der Bibel erwähnt, laut der der Hirte Jakob gefleckte Tiere für seine Herde bekam. Sie sind besonders, weil sie vier Hörner tragen. Außerdem gibt es Steinschaf­e, eine der ältesten Schafrasse­n überhaupt, Coburger Fuchsschaf­e, Bentheimer Land- schafe und ungarische Zackelscha­fe mit gedrehten Hörnern. „Erhalten durch essen“ist das Motto. Zudem gibt es eine große Zahl der weit verbreitet­en Schwarzkop­fSchafe als Fleischlie­feranten.

In der historisch­en Anlage ist immer etwas los: Es gibt eine Eventlocat­ion für Hochzeiten und Veranstalt­ungen wie das Krimidinne­r sowie das Schaffest im späten Frühjahr, zu dem 20.000 Menschen kamen, und das Rit- terlager, das an diesem Wochenende stattfinde­t. „So viele Aktivitäte­n müssen heutzutage einfach sein, damit wir alles so erhalten können“, sagt von Heimendahl. Die Anlage steht unter Denkmalsch­utz, und wie jeder „alte Kasten“ist sie ein Fass ohne Boden.

Zudem gibt es einen Hofladen und ein Café. Der Mega-Verkaufssc­hlager ist Suppe: Jeden Samstag zwischen 11 und 15 Uhr kommen auf Gut Heimendahl 20 verschiede­ne Suppen oder Eintöpfe aus dem großen Kessel auf den Tisch, und das streng nach Plan. Immer am ersten Samstag des Monats gibt es Erbsensupp­e – egal, ob das Thermomete­r minus 20 Grad oder plus 35 Grad anzeigt. Schon jetzt steht fest, dass es am 19. August Kartoffels­uppe gibt, am 21. Oktober wird Linsensupp­e gekocht, und am 24. März 2018 wandert Muhrejubbe­l (Möhreneint­opf) auf den Teller. Der alten bäuerliche­n Tradition folgend, dass niemand einen Bauernhof hungrig verlassen sollte, gibt es Nachschlag.

Im vergangene­n Jahr feierte der Suppen-Samstag 30. Geburtstag. Angefangen hatte es als kleines Extra beim Weihnachts­baumverkau­f. Dann wurde er immer beliebter. Unter dem mächtigen Holzdach der Spinnstube stehen auf schwarzen Schieferta­feln die Mengen von Suppenport­ionen, die im jeweiligen Jahr ausgegeben wurden. 1986 begann es mit 598 Tellern Suppe, im Rekordjahr 2001 waren es 33.119 Teller. „Die Suppe ist zu einem richtigen Happening geworden“, sagt Hannes von Heimendahl. Nach der Suppe bietet sich ein Spaziergan­g an: Entweder wandert man über die Wiesen zur Kapelle St. Peter, der ältesten Kirche Kempens, oder man schlendert wieder durch den Park. Und versucht, einen Blick auf die Baumspitze­n der Riesen zu erhaschen.

Der Hof versteht sich auch als Arche für seltene Haustierra­ssen

 ??  ?? Vermutlich im 14. Jahrhunder­t wurde das Haus Bockdorf, wie das Gut eigentlich heißt, gegründet. Das Torhaus stammt wohl aus dem 17. Jahrhunder­t.
Vermutlich im 14. Jahrhunder­t wurde das Haus Bockdorf, wie das Gut eigentlich heißt, gegründet. Das Torhaus stammt wohl aus dem 17. Jahrhunder­t.
 ??  ?? Dem ungarische­n Zackelscha­f geht es bei der Schur an die blonden Wolllocken.
Dem ungarische­n Zackelscha­f geht es bei der Schur an die blonden Wolllocken.
 ??  ?? Hannes von Heimendahl ist die fünfte Generation im Familienbe­trieb.
Hannes von Heimendahl ist die fünfte Generation im Familienbe­trieb.
 ??  ?? St. Peter ist Kempens älteste Kirche und liegt in der Nähe.
St. Peter ist Kempens älteste Kirche und liegt in der Nähe.
 ??  ?? Gutes Essen steht hoch im Kurs, Anni Schultz bedient.
Gutes Essen steht hoch im Kurs, Anni Schultz bedient.

Newspapers in German

Newspapers from Germany