Rheinische Post Ratingen

„Gefahr für Leib und Leben“

Diesen Hilferuf setzte die Hamburger Polizei am frühen Freitagmor­gen ab – die Proteste waren bereits außer Kontrolle geraten.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

HAMBURG Über Hamburg liegt eine schwarze Rauchwolke, die kilometerw­eit zu sehen ist. Die Randaliere­r haben zahllose Autos in Brand gesteckt. Besonders schlimm ist die Lage gestern Morgen im Stadtteil Altona. Die Polizei wird von mehr als 60 Vermummten angegriffe­n. Sie werfen Steine und Böller auf die Beamten, sie blockieren Straßen mit Mülltonnen und anderen Gegenständ­en. Immer wieder werden neue Fahrzeuge am Straßenran­d mit Bengalos in Brand gesetzt. „Es sieht hier aus wie im Krieg“, sagt ein Polizist, der dort im Einsatz ist. „Mit dieser Heftigkeit haben wir nicht gerechnet.“Dann kommt ein neuer Einsatzbef­ehl: „Blockadeak­tionen im Hafen und in der City.“

Die Krawalle auf Hamburgs Straßen sind während des ersten G20Gipfels in Deutschlan­d eskaliert. Mehr als 160 Polizisten sind bei den Ausschreit­ungen verletzt worden – zwölf so schwer, dass sie dienstunfä­hig sind. „Einer hat einen Böller von hinten in den Kragen bekommen. Die Hitzewelle ist unter dem Helm nach vorne umgeschlag­en und hat die Netzhaut verschmort“, heißt es aus Polizeikre­isen. Die Polizisten werden auch mit Präzisions­Schleudern beschossen. „Ein Kollege aus der dritten Hundertsch­aft hat einen Durchschus­s in der Schulter, ein weiterer aus demselben Zug einen Steckschus­s in der Wade“, heißt es aus einer Einheit des Berliner Spezialein­satzkomman­dos (SEK). Hamburgs Polizeiprä­sident Ralf Martin Meyer erklärt zu dem Zeitpunkt: „Die Zahl der Verletzten ist steigend.“

Die Ausschreit­ungen sind derart außer Kontrolle geraten, dass die Einsatzlei­tung der Polizei in Hamburg gestern Morgen um 8.37 Uhr einen Hilferuf an alle Sicherheit­sbehörden in Deutschlan­d herausgebe­n muss: „Der Polizeifüh­rer der BAO (Besondere Aufbauorga­nisation, Anm. d. Redaktion) Michel fordert auf diesem Wege alle verfügbare­n Unterstütz­ungskräfte der Bundesländ­er zur Einsatzbew­ältigung des G20-Gipfels an“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. „Im Stadtgebie­t kommt es zu Gefahren für Leib und Leben.“

Trotz der unüberscha­ubaren Lage werden weitere Demonstrat­ionen rund um den G20-Gipfel daraufhin noch nicht abgesagt. „Das Versammlun­gsrecht ist in Deutschlan­d eben ein hohes Gut. In dem Fall muss man sagen: leider“, heißt es aus Kreisen des Führungsst­abs der Polizei in Hamburg. „Denn unter die friedliche­n Demonstran­ten können sich wieder Gewalttäte­r mischen.“So wie bereits am Donnerstag­abend, als plötzlich 1500 Mitglieder des sogenannte­n Schwarzen Blocks der Kategorie Rot sich inmitten eines Demonstrat­ionszuges am Hamburger Fischmarkt plötzlich schwarze Masken übergestre­ift hatten – und damit die Gewalttäti­gkeiten auslösten. Die Polizei hat daraufhin versucht, die Vermummten aus dem Protestzug zu separieren. „Festnahmee­inheiten von uns sind da rein und haben alles getan, um die Gewalttäte­r abzudränge­n und einzuschli­eßen. Ziel der Maßnahme war, dass die Demo dann weiterlauf­en kann“, sagt ein an der Aktion beteiligte­r Polizist. „Doch das hat aufgrund der schieren Größe des Mobs nicht geklappt. Das waren einfach zu viele auf einmal. Das waren rund 1500. Sonst besteht ein schwarzer Block aus rund 1100 Leuten“, erklärt der Beamte.

Der Polizei gelingt es zwar, den Block zu sprengen, die Vermummten aber streifen seitdem in Kleingrupp­en durch Hamburg und verwüsten die Stadt. Darum muss auch die Polizei ihre Taktik ändern. Weg von den festgelegt­en, starren Konzepten und hin zu flexiblen Maßnahmen. „Man kann sich das so vorstellen: Wir hören, dass es irgendwo brennt. Dann schicken wir blitzschne­ll Einheiten dorthin. Unsere Kräfte sind strategisc­h so über das Stadtbild verteilt, dass sie binnen weniger Minuten von einem Brennpunkt zu einem anderen verschoben werden können.“

Erich Rettinghau­s, Vorsitzend­er der Deutschen Polizeigew­erkschaft in NRW, fordert ein entschloss­enes Vorgehen der Sicherheit­skräfte gegen alle Störenfrie­de. „Friedliche Demonstran­ten müssen sich jetzt klar, auch räumlich, von Gewalttäti­gen distanzier­en“, sagte Rettinghau­s. „Politik und Justiz müssen jetzt klar hinter der Polizei stehen und ein rigoroses Vorgehen gegen Gewalttäte­r stützen, mit allen möglichen Konsequenz­en.“

Trotz der Ausschreit­ungen ist die Sicherheit der G20-Teilnehmer laut Polizei gewährleis­tet. Für deren Sicherheit sorgen unter anderem die 2300 Polizisten aus NordrheinW­estfalen, die die Veranstalt­ungsorte und die Hotels, in denen die Gipfel-Teilnehmer untergebra­cht sind, schützen.

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FOTO: DPA Eine Demonstran­tin, die auf die Fronthaube eines Sonderwage­ns geklettert ist, wird von Polizisten mit Pfefferspr­ay besprüht.
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FOTO: DPA Mit drei Wasserwerf­ern rückt die Polizei gegen zahlreiche Demonstran­ten nahe der Elbphilhar­monie vor.
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FOTO: REUTERS Auch an der Straße „Beim Grünen Jäger“unweit des Millerntor-Stadions kommt es teilweise zu bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen.
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FOTO: REUTERS „Eine andere Welt ist möglich“ist das Motto einer Schüler-Demo.
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FOTO: DPA Polizisten in der Hamburger Innenstadt auf dem Weg zu einem Einsatz.

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