Rheinische Post Ratingen

In der Arena

- VON MARTIN KESSLER UND EVA QUADBECK

Uneinigkei­t im Klimaschut­z, Streit über Handel, Untätigkei­t bei Afrika und das Dilemma mit Nordkorea. Gastgeberi­n Angela Merkel muss die Top-Wirtschaft­smächte auf eine Linie bringen.

HAMBURG So schwierig wie bei diesem Gipfel waren die Gespräche der 20 Staats- und Regierungs­chefs der Top-Wirtschaft­smächte (G20) noch nie. Bis in die frühen Morgenstun­den loteten die Chefunterh­ändler der G20-Gruppe mögliche Kompromiss­linien aus. „Es ist ein Zirkus“, sagt einer. „Das hat es auf früheren G20-Gipfeln nicht gegeben.“In den besonders strittigen Punkten Handel, Klima und Flüchtling­e zeichnete sich auch zum Gipfelbegi­nn noch kein Durchbruch ab. Bis zum Samstagnac­hmittag haben die Staatsund Regierungs­chefs noch Zeit, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu verständig­en. Welche Rolle spielt Kanzlerin Angela Merkel als Gastgeberi­n? Es war die „New York Times“, die Merkel nach der Wahl von Trump zum US-Präsidente­n zur „Anführerin der freien Welt“ausrief. Merkel hat diese Zuschreibu­ng mehrfach öffentlich zurückgewi­esen. Dennoch verbinden sich mit der Kanzlerin weltweit viele Hoffnungen, die man eben in eine solche Anführerin setzen würde. Ihr Verhältnis zu USPräsiden­t Donald Trump und zu den Präsidente­n der Türkei und Russlands, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, erleichter­t dieses Image nicht. Umso mehr Mühe gibt sie sich, niemanden auf diesem Gipfel zu isolieren, auch nicht Trump, der als einziger Vertreter das Pariser Klimaabkom­men ablehnt.

Ihr freundlich­er Empfang in Hamburg – auch für alle Autokraten – darf aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sie bei den Themen Freihandel und Klima „Unterschie­de benennen“will, wie sie zum Auftakt des Gipfels sagte. Wie sind die Gipfel-Teilnehmer vorangekom­men? Geeinigt haben sich die Staatenlen­ker beim Thema Terrorismu­s. Hier wollen sie den Informatio­nsaustausc­h deutlich verbessern, wie Kanzlerin Merkel aus der Sitzung berichtete. Denn dort bestünden noch deutliche Defizite. Auch die Finanzströ­me zur Unterstütz­ung des vornehmlic­h islamistis­chen Terrors wollen die G20-Lenker trockenleg­en. Dazu wollen sie die Spezialein­heit, die dafür eingericht­et wurde, weiter ausbauen und mit Kompetenze­n versehen. Schließlic­h wollen sich die Staaten stärker mit den Mechanisme­n der Radikalisi­erung auseinande­rsetzen. Die Anbieter von Internetdi­ensten sollen zudem angehalten werden, Inhalte mit terroristi­scher Propaganda schneller zu löschen. „Hier geht es entscheide­nd um Schnelligk­eit“, erklärte Merkel. Auf jeden Fall steht der Text für das Kommuniqué fest, ein erstes Ergebnis des Gipfels.

Die Tatsache, dass US-Präsident Trump ausgerechn­et die Verhandlun­gsrunde zum Klima weitgehend schwänzte (er gab nur eine Erklärung ab und verschwand) und sich stattdesse­n mit seinem russischen Amtskolleg­en Putin traf, darf als Signal gewertet werden, wonach den Amerikaner­n der weltweite Klimaschut­z egal ist. Welche Bedeutung hat das Treffen von Putin und Trump? Die erstmalige Begegnung der beiden Präsidente­n ist einer der Höhepunkte des G20-Gipfels. Zweieinhal­b Stunden haben beide miteinande­r gesprochen. Es ging um die Ukraine und die Besetzung der Krim durch Russland, um Nordkoreas Raketenpro­gramm und insbesonde­re die Lage im Bürgerkrie­gsland Syrien. In allen Punkten gibt es wenig Gemeinsamk­eiten. Mit seiner kämpferisc­hen Rede in Warschau hat Trump zudem den neuen Ton in den amerikanis­ch-russischen Beziehunge­n gesetzt. Er hat Putin aufgeforde­rt, seine „destabilis­ierenden Aktivitäte­n in der Ukraine und anderswo“einzustell­en.

Auch bei Nordkorea liegen die beiden Großmächte auseinande­r. Russland plädiert für ein Ende der gemeinsame­n Manöver von USA und Südkorea, dafür sollte der Norden sein Nuklearpro­gramm beenden. Doch davon will Trump nichts wissen. In Syrien ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den beiden der Kampf gegen die islamistis­che Terrororga­nisation IS. Syriens Staatschef Baschar al Assad bleibt der Zankapfel. Putin unterstütz­t ihn, Trump will ihn ablösen. Die USA und Russland gaben dennoch ein Zeichen der Geschlosse­nheit und einigten sich auf eine Waffenruhe für den Südwesten Syriens, die morgen um 12 Uhr beginnen soll. Mit welchen Ergebnisse­n kann man den Gipfel als Erfolg bezeichnen? In den großen Fragen wie Freihandel und Klimaschut­z wird man kaum weiterkomm­en. Hier ist es nach jetziger Lage schon ein Erfolg, wenn der G20-Gipfel nicht im offe- nen Streit endet. Allerdings versuchen derzeit alle Beteiligte­n, den ganz großen Krach zu verhindern.

Vorankomme­n könnten die Staatenlen­ker mit einer Strategie für den Problemkon­tinent Afrika. Besonders Merkel und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ist daran gelegen. „Nirgends klaffen Dichtung und Wahrheit so weit auseinande­r wie im Fall Afrikas“, sagte Juncker. Er wies darauf hin, dass die EU ein Investitio­nsprogramm von 44 Milliarden Euro vorschlägt, um die Verhältnis­se auf dem Kontinent zu verbessern und so massenhaft­e Auswanderu­ng in die nördlichen Wohlstands­länder zu verhindern. Ein Durchbruch in dieser Frage, so Juncker, würde den Gipfel zu einem Erfolg machen. Merkel erklärte, dass dieses Thema stärker als bisher diskutiert wurde. Als „interessan­te Variante“bezeichnet­e sie den Umstand, dass mit der „Agenda 2063“die Afrikaner zum ersten Mal selbst einen Entwicklun­gsplan für ihren Kontinent ausgearbei­tet hätten.

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FOTO: DPA Die Gipfelteil­nehmer kurz vor Beginn der gemeinsame­n Arbeitssit­zung. Vordere Reihe (v.l.): Der USamerikan­ische Präsident Donald Trump, Chinas Präsident Xi Jingping, Bundeskanz­lerin Angela Merkel, Argentinie­ns Präsident Mauricio Macri und der...

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