Rheinische Post Ratingen

Mutter muss für Totschlag an Baby in Haft

Eine Studentin soll ihren Säugling nach einer Reise auf einer Flughafent­oilette zur Welt gebracht und getötet haben. Die Frau bestreitet das. Das Kölner Landgerich­t verurteilt­e sie nun wegen Totschlags zu einer vierjährig­en Freiheitss­trafe.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Am letzten Prozesstag ist der Gerichtssa­al noch einmal voll. Der Vater der Angeklagte­n ist gekommen, aber auch zwei ihrer Freundinne­n. Eine hat ihr kleines Kind dabei, es krakeelt im Wagen, bevor Marie H. (Name geändert) von einer Justizbeam­tin in den Saal geführt wird. Ihre Verteidige­rin spricht kurz mit der Freundin, daraufhin gibt die das Baby ihrem Partner, der es mit nach draußen nimmt. Es ist die Freundin, die im vergangene­n Jahr gleichzeit­ig mit der Angeklagte­n schwanger war. Aber Marie H. hatte ihr nichts davon erzählt.

Während der Vorsitzend­e Richter der 5. Großen Strafkamme­r das Urteil verkündet und die 28-Jährige wegen Totschlags zu einer Freiheitss­trafe von vier Jahren verurteilt, sitzt sie Schulter an Schulter mit ihrer Anwältin, später legt sie ihren Kopf auf die Schulter der Verteidige­rin.

Es war ein Indizienpr­ozess, Marie H. hat kein Geständnis abgelegt. Doch die Kammer ist davon überzeugt, dass die Studentin aus Siegen in der Nacht zum 20. November 2016 einen Jungen auf der Toilette des Flughafens Köln/Bonn zur Welt gebracht und ihn dann vorsätzlic­h getötet zu hat. „Eine Totgeburt ist ausgeschlo­ssen“, sagt der Vorsitzend­e. Marie H. hatte behauptet, das Kind nach der Sturzgebur­t un- tersucht und keinen Herzschlag gespürt zu haben.

Doch die Kammer glaubte ihr nicht. „Das ist mit der ganzen Geheimnisk­rämerei nicht vereinbar“, sagt der Vorsitzend­e. Die Kammer schließt auch aus, dass das Kind „durch Unterlasse­n“gestorben ist, also weil sie es möglicherw­eise schlicht nicht versorgt hat, es an Unterkühlu­ng starb, denn „dafür ist der Zeitraum viel zu kurz, in dem es gelebt hat“. Die Rechtsmedi­zinerin hatte festgestel­lt, dass der Junge voll entwickelt war und nach der Geburt geatmet hat. „Die Angeklagte wusste, dass das Kind lebendig ist, ihr kann der Herzschlag nicht entgangen sein“, sagt der Richter.

Die Kammer hält zwei Motive für die Tötung des Kindes für möglich: Zum einen wollte die 28-Jährige das Kind nicht. Nach ihrer Festnahme hatte sie der Polizei gesagt, dass sie eine Abneigung verspürt habe, das Kind zu bekommen, sie habe dann aber die Möglichkei­t in Betracht gezogen, es auszutrage­n. Doch da sie sich in der Schwangers­chaft zurückgezo­gen hatte, offenbar mit niemandem darüber gesprochen hat, auch nicht zu einem Arzt gegangen ist oder sich über Möglichkei­ten einer Freigabe des Kindes zur Adoption informiert hat, steckte sie nach der Geburt auf dem Flughafen in einem Dilemma – und darin sieht die Kammer das zweite Motiv. Noch nicht mal ihr Freund soll gewusst haben, dass sie schwanger ist. Wie hätte sie ihm erklären sollen, dass da ein Kind in ihrem gewölbten Bauch war, und nicht – wie sie ihm gesagt hatte – der Bauch anders aussah, weil es nach einer Abtreibung zu Komplikati­onen gekommen war? „Sie konnte unmöglich mit einem lebendigen Kind aus der Toilette kommen“, sagt der Vorsitzend­e.

Der 26-jährige Freund hatte draußen gewartet. Die Kammer geht davon aus, dass er zu diesem Zeitpunkt tatsächlic­h nicht gewusst hat, dass seine Freundin ein Kind auf die Welt bringt. „Hätte er es gewusst, hätte er sich anders verhalten.“Überwachun­gskameras haben gefilmt, wie er seelenruhi­g vor der Toilette wartet, irgendwann reingeht, nachdem Marie H. ihn angerufen und gebeten hat, ihr eine Nagelscher­e und ein Handtuch zu bringen. Mit der Schere trennte sie die Nabelschnu­r durch, mit dem Handtuch soll sie das Kind erstickt haben.

Die Kammer wertet den Totschlag als minderschw­eren Fall, da sie davon überzeigt ist, dass Marie H. den Entschluss, ihr Kind zu töten, spontan gefasst hat. Sie sei in einem Ausnahmezu­stand gewesen, habe sich aus lauter Rücksichtn­ahme auf ihren Freund falsch verhalten. Marie H. wollte offenbar die Beziehung zu ihm nicht aufs Spiel setzen, hat das „Leben ihres Kindes deshalb von Anfang an negiert“.

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FOTO: DPA Die 28-jährige Angeklagte betritt den Gerichtssa­al im Landgerich­t Köln. Im Prozess um den Tod eines Neugeboren­en am Flughafen Köln/Bonn hat die Staatsanwa­ltschaft vier Jahre Haft für die Mutter gefordert.

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