Natur pur: Osttirol ist ein zauberhafter, allerdings abgeschiedener Landstrich im Süden Österreichs. Dort kommen Großstädter garantiert zur Ruhe. Doch in Blickweite der Dreitausender können sie auch selbst aktiv werden – zu Berg wie zu Tale.
Das Ende der Welt ist bekanntlich Definitionssache und kann von jedem für sich reklamiert werden. Die Bretonen haben eins, die Galizier auch, die Griechen erst recht. Sogar in Mitteleuropa gibt es abgeschiedene Regionen, in die sich irgendwie deutlich weniger Menschen verlaufen als in andere Gegenden. Das ist umso krasser, als es sich beim Weltende, um das es hier geht, um eine wunderschöne Urlaubsregion handelt – vor allem für Menschen, die das Getöse des restlichen Mitteleuropas leid sind.
Die Rede ist von Osttirol, einer politischen Exklave Tirols. Von der Landeshauptstadt Innsbruck muss man durch andere (Bundes-)Länder reisen, um Lienz, die Bezirkshauptstadt Osttirols, zu erreichen. Es gibt nur eine beschwerliche Busfahrt über Wörgl und Kitzbühel. Zugfahrer müssen über Kärnten oder Südtirol (Italien) einreisen, und die Autofahrer müssen durch den Felbertauerntunnel. Dahinter aber wartet die beinahe unberührte Welt des Großglockners und des Großvenedigers, warten saftige Almen, hübsche Wanderwege zu Tal und auf den Berg hinauf, Kühe, die einem die Hand abschlecken; warten kleine Pensionen, die Einsamkeit und Gemütlichkeit für kleines Geld offerieren, und es warten die malerischen Gassen der „Sonnenstadt“Lienz, die komplett von Bergen umgeben ist.
Und vor allem warten zwei Flüsse, die das Leben dort ein bisschen definieren und die so idyllisch fließen, wie die Menschen ihr Leben führen. Die Drau ist beinahe jedem bekannt, sie ist ein stattlicher Fluss, der Südtirol mit Ungarn verbindet. Aber wer kennt die Isel, dieses wilde Gewässer, das viele Stromschnellen hat und die Eiseskälte der Gletscher verbreitet? Entlang dieser Isel führt ein Fahrradwanderweg, der Gemächlichkeit mit Abwechslungsreichtum verbindet und die Berge ganz nahe holt. Trotzdem erzwingt er keine Kraxeltour auf Rädern, im Gegenteil, die Höhenunterschiede sind minimal.
Wir leihen uns die Räder bei „Probike“in Lienz und sind in zwei Minuten aus der Stadt heraus. Der Fahrradweg führt Richtung Matrei, und er ist ein Labsal für die Seele. Auf unaufdringliche Weise hat er den Charakter des Allgemeinguts angenommen, denn seine Breite lädt alle ein, sich einzureihen in den Konvoi derjenigen, die im Tale zwischen den Bergen unterwegs sind. Wir treffen vergnügte Fußgänger, schneidige Inline-Skater, Profiradler, die wie Windhunde an uns vorbeipfeifen, rüstige E-Biker – und trotzdem ist man hier eigentlich die ganze Zeit mit sich, seinen Gedanken und diesem Fluss allein, dessen Zi- schen und Rauschen die nahe Felbertauernstraße mit Leichtigkeit übertönt.
Bisweilen dringen andere Stimmen an unser Ohr, etwa vom „Osttirodler“, einer Ganzjahresrodelbahn mit Achterbahn-Feeling, die auf 2,7 Kilometern Länge gute Nerven verlangt, denn die Fahrt führt auf Stelzen ebenso durch den Wald wie über Abgründe. Schloss Bruck, das sich über dem Tal erhebt, winkt einem dagegen mittelalterlich zu; meine österreichischen Namensvettern, die Grafen von Görz, haben sie von 1252 an über 25 Jahre bauen lassen.
Man kann stundenlang auf diesem Radwanderweg unterwegs sein, aber wer von seinem Asphalt nach links oder rechts schaut, der erlebt den Clou der Isel – kleine Buchten, deren Sandstrände fast maritime Stimmung aufkommen lassen. Bisweilen spritzen Tröpfchen von der unbeherrschten Isel in unser Gesicht – eine willkommene Erfrischung an heißen Tagen. Die Brotzeit, die man dort auf Thermodecken zu sich nimmt, könnte genussvoller nicht sein; die vorbeipaddelnden Kajakfahrer und RaftingFreaks schauen neidisch herüber.
Nachmittags, wenn man sein Fahrrad in Lienz wieder abliefert, sehnt man sich danach, seine Glieder zu strecken und anschließend den Kraftspeicher aufzufüllen. Das kann man beispielsweise in der