INFO JohnnyCashnotiertesich Kuss-Erinnerungen
Einblick in die Notizbücher berühmter Menschen gibt der Band „Lists Of Note. Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten“(Heyne, 344 S., 34,99 Euro). Enthalten ist auch ein Notizbucheintrag von Johnny Cash: „June küssen“, lautet er. Cash wollte nicht vergessen, seine Frau June Carter zu küssen. Bänden erschienenen „Cahiers“sind eine ungemein anregende Lektüre. Ein anderes Beispiel für die Schönheit des notierten Augenblicks liefert der Journalist Peter K. Wehrli. Er reiste 1968 im Orient-Express von Zürich nach Beirut, und kurz nach Abfahrt merkte er, dass er seinen Fotoapparat vergessen hatte. Er ärgerte sich, aber dann beschloss er, all das, was er sonst fotografiert hätte, mit Worten nachzubilden. Das Projekt wuchs sich zu einem „Katalog von Allem“aus, dessen neueste Lieferungen unregelmäßig als Buch erscheinen und so inspirierend sind wie ein Fotoalbum. Dazu passt, was die Journalistin Josephine Wolff neulich im US-Magazin „Atlantic“schrieb: „Mein Beruf findet am Computer statt, aber mein Leben ereignet sich im Notizbuch.“
Im Internet breitet sich das Phänomen des „bullet journal“aus. Bei Instagram findet man unter diesem Stichwort 100.000 Bilder. Sie zeigen Notizbücher, von Hand beschriftet: eine Gegenbewegung von Leuten, die das Web entschleunigen. Notieren ist Besinnung und Selbstversicherung, deshalb mutet es so ungewöhnlich an, dass die Tempomacher der Digitalisierung die physische Erfahrung, Papier zu beschriften, auf Computer übertragen. Auf das iPad Pro etwa kann man mit einem speziellen Stift schreiben. Apps wandeln Handgeschriebenes in Druckbuchstaben um. Und Moleskine kooperiert mit digitalen Notizbüchern wie Evernote.
Der Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit. Jedes Notizbuch ist ein Roman, den der Besitzer erst noch schreiben muss.