Rheinische Post Ratingen

„Die Künstler haben kooperiert, zusammenge­arbeitet, in Filmen wie in der Malerei“

- VON OLIVER BURWIG

Sie wirken und fasziniere­n noch heute, die politisch und sexuell aufgeladen­en Filzstiftz­eichnungen, Polaroidse­rien und Drucke der 1970er Jahre, die die Kuratoren für „Singular / Plural“aus dem Archiv gegraben haben. Die Ausstellun­g konzentrie­rt sich auf die Düsseldorf­er Kunstszene, und sie bildet einen Zeitpunkt ab, in dem ihre Protagonis­ten sich einen bunten, teils heute noch verstörend­en Stil aneigneten, der die Verspreche­n der Nachkriegs­zeit in ihrer Kunst übersteige­rt und den Konflikt sucht – mit der Gesellscha­ft und mit anderen Künstlern ihrer Stadt.

Beklemmend und provokant sind die Kugelschre­iberzeichn­ungen Michael Deistlers, die aufgereiht im ersten Stock der Kunsthalle an der Wand hängen. Hakenkreuz­e, propagandi­stische Wortgruppe­n und Befehle springen dem Betrachter aus den Kästchen der karierten A4-Blätter entgegen, die Deistler schwarz ausgemalt hat. Die wenigen weiß gelassenen Kästchen – von weitem wirken sie wie aufgesteck­te Plättchen – bilden Muster, die an grob gewebte, kitschige Deckchen denken lassen. Die wenigen Worte („Bunker“, „Meditation“) unterstrei­chen die zynische Wirkung der Schwarz-Weiß-Rasterbild­er.

Wütende Gesellscha­ftskritik übt „Die ehrenwerte Gesellscha­ft“, eine Fotoreihe, die die Köpfe mehrerer Wirtschaft­sbosse und Menschen des öffentlich­en Lebens zeigt. Ein Schildchen verrät dem Betrachter, wen er vor sich sieht: Vertreter von Persil, General Motors, Esso und anderen Auto- und Ölkonzerne­n – Feindbilde­r der Linken, die in eine Reihe mit den Mafiosi gestellt werden, weil sie der Meinung des Künstlers nach dafür sorgen, dass die „Armen arm bleiben“.

Auf der Bilderwand „Kinder des Olymp“zwang Klaus vom Bruch Künstlern, Galeristen und Bekannten den rheinische­n Karneval auf, indem er Fotografie­n mit einem Konfettire­gen überzog. Karneval, das Verbindend­e, Verbindlic­he, dem sich niemand entziehen kann – in diesem Zusammenha­ng bekommt er eine groteske und übertriebe­ne Wirkung.

Das Miteinande­r der Künstler der 70er und frühen 80er Jahre ist ein Kernthema der Ausstellun­g, das schon in dessen Titel steckt: „Singular / Plural“zeigt nicht nur Kunstwerke, sondern will auch vermitteln, in welchen Beziehunge­n ihre Schöpfer zueinander standen. Polaroid-Sammlungen von Achim Duchow wie „Pour-Brussel, Serie Rot“lassen die Menschen hinter den Werken in kleinen Momentaufn­ahmen in den Vordergrun­d treten. Sie zeigen Freunde, wie sie feiern, rauchen, herumalber­n. Duchows mit Rockmusik unterlegte Dia-Show „Buick Adventures“vermittelt den Eindruck, dass der Künstler sich bei aller Skepsis gegenüber der Mainstream-Kultur auch für den Reiz einer Cabrio-Autofahrt in einem amerikanis­chen Straßenkre­uzer begeistern konnte.

Die Aufbruchst­immung, die laut Kunsthalle­n-Leiter Gregor Jansen viele Künstler in den 70er Jahren in Deutschlan­d verlassen ließ, vermitteln Sachtexte, Zeitungsar­tikel, Fragmente künstleris­cher Manifeste und Ausstellun­gsplakate im ersten Stock der Kunsthalle. Dreidimens­ionale Bildträger aus dickem Karton, kreuz und quer im Raum verteilt, lassen die Ausstellun­gsbesucher wandern, innehalten und auch zu schon Gesehenem zurückkehr­en. „Nicht-chronologi­sch“, sagt Jansen. Die Ausstellun­g, die Büchern und Texten zum Hintergrun­d ebenso Raum gibt wie Originalen – einige zum ersten Mal zu sehen – sei eine „Reise durch die Forschungs­ergebnisse der letzten Jahre“.

Mit Petra Lange-Berndt, Dietmar Rübel und Max Schulze stecken neben Jansen drei Kuratoren hinter „Singular / Plural“. Die Hamburger Kunstprofe­ssorin Lange-Berndt legt besonderen Wert darauf, zu zeigen, wie die Künstler sich gegenseiti­g beeinfluss­t haben: „Sie haben koope- Petra Lange-Berndt Kuratorin

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