Rheinische Post Ratingen

EU droht Polen mit Stimmrecht­s-Entzug

Wegen der Justizrefo­rmen überprüft die EU-Kommission die Rechtsstaa­tlichkeit im Lande.

- VON KLAUS BLUME UND NATALIE SKRZYPCZAK

BRÜSSEL/WARSCHAU (dpa) Die EUKommissi­on hat die polnische Regierung zu einem sofortigen Stopp ihrer umstritten­en Justizrefo­rm aufgeforde­rt. „Die jüngsten Maßnahmen der polnischen Verantwort­lichen verstärken die Gefahr für den Rechtsstaa­t noch einmal ganz erheblich“, sagte Vizepräsid­ent Frans Timmermans in Brüssel. Sollten die Gesetze in Kraft treten, werde die Kommission umgehend reagieren.

Als Konsequenz schweben der EU nicht nur eine Fortsetzun­g des Rechtsstaa­tsverfahre­ns und neue Vertragsve­rletzungsv­erfahren vor, über die sie nächste Woche entschei- den würde. Sie könnte auch erstmals ein Verfahren nach Artikel 7 des EUVertrage­s einleiten. Dieser sieht bei „schwerwieg­ender und anhaltende­r Verletzung“der im Vertrag verankerte­n Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrecht­e des Mitgliedst­aates vor.

Schon seit Anfang 2016 läuft gegen Polen wegen einer umstritten­en Reform des Verfassung­sgerichts ein Rechtsstaa­tsverfahre­n. In der vergangene­n Woche haben nun beide Parlaments­kammern ein Gesetz zur Reform des Landesrich­terrats verabschie­det, eines Verfassung­sorgans zur Wahrung der Unabhängig­keit der Justiz. Das Gesetz sieht die Entlassung der Landesrich­terräte sowie einen größeren Regierungs- einfluss bei der Wahl ihrer Nachfolger vor. Ein weiteres Gesetzespr­ojekt zielt auf das Oberste Gericht ab. Nur von der Regierung handverles­ene Richter würden dort im Amt bleiben.

„Alle Maßnahmen zusammen würden die verbleiben­de Unabhängig­keit des Rechtswese­ns beseitigen und die Rechtsprec­hung unter die volle Kontrolle der Regierung stellen. Die Richter werden nach Lust und Laune der politische­n Führer dienen“, warnte Timmermans.

Noch ist nicht sicher, dass die polnischen Vorhaben so in Kraft treten. Der Gesetzentw­urf über die Neuordnung des Obersten Gerichts wurde gestern Morgen zur weiteren Behandlung an den zuständige­n Ausschuss überwiesen. Das vorige Woche verabschie­dete Gesetz zum Richterrat müsste Staatspräs­ident Andrzej Duda noch unterzeich­nen. Doch dieser teilte bereits mit, dass er einen eigenen Entwurf ins Parlament eingebrach­t habe.

„Unsere Hand zum Dialog mit den polnischen Regierende­n ist nach wie vor ausgestrec­kt“, sagte Timmermans. Er beklagte, dass einige polnische Minister lieber über ihn als mit ihm redeten. Was in Polen geschehe, gehe jeden einzelnen Bürger der Union an, sagte er. Befragt nach der Gefahr eines polnischen EU-Austritts, antwortete der Kommissar: „Es gibt nichts Wichtigere­s in meinem Leben, in politische­r Hinsicht, als die Überwindun­g der europäisch­en Teilung.“

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