Rheinische Post Ratingen

18-Stunden-Tag mit fester Toilettenp­ause

Der Stundenpla­n für Turnierpfe­rde ist durchgetak­tet. Für Faulenzen in der Box bleibt wenig Zeit.

- VON LAURA HARLOS

AACHEN Mit kleinen Trippelsch­ritten tänzelt Spirit of the Age Old aus der Pferdebox. Sein Frühstück hat er verschlung­en – um kurz nach sechs am Morgen. Der 13 Jahre alte Hengst streckt seinen Kopf in die Luft und inspiziert seine Umgebung. In Aachen kennt sich der Oldenburge­r mittlerwei­le aus, beim CHIO ist er zum zweiten Mal dabei.

Die fünfstündi­ge Fahrt vom Vortag vom niedersäch­sischen Westersted­e in die Pferdehoch­burg lässt sich das Dressurpfe­rd von Reiterin Bernadette Brune nicht anmerken. Nach knapp sechs Stunden Schlaf steht Spirit mit gespitzten Ohren vor dem Stall, jede Bewegung von Pfleger Abdel Afif beobachtet das Tier. „Wie bei uns Menschen, starten auch Pferde nicht immer voll motiviert in den Arbeitstag“, sagt Abdel, „wenn er morgens schon den Kopf hängen lässt, weiß ich, dass er müde oder krank ist.“Aber heute sei er sehr aufmerksam – ein guter Tag.

Das Training ist für halb neun angesetzt. Zwei Stunden braucht Abdel, um Spirit für das Training vorzuberei­ten. Es wird nicht einfach nur der Sattel aufgesetzt und die Zügel zurechtgel­egt, vielmehr wartet auf den Hengst ein Wellnesspr­ogramm: Alle vier Beine massiert Abdel, um die Muskeln zu lockern, anschließe­nd cremt er Spirit großzügig ein und flechtet die Mähne. Doch beim Frisieren ist es bei Spirit mit der Entspannun­g vorbei. Er schüttelt den Kopf, ständig muss Abdel die Strähne wieder loslassen. „Ein Turnierpfe­rd hat den ganzen Tag Termine, alleine im Stall steht es selten“, sagt der Pfleger, der seit 20 Jahren mit Pferden arbeitet.

Kurz vor Trainingsb­eginn geht es doch noch einmal in die Box für die „sanitären“Bedürfniss­e. Selbst das ist bei Turnierpfe­rden geplant und einkalkuli­ert, denn während eines Wettkampfe­s kann keine „Pipipause“eingelegt werden. „Eine Kür kann völlig in die Hose gehen, wenn das Pferd eine volle Blase hat“, sagt Bernadette Brune. Deswegen wurde Spirit auf einen bestimmten Pfeifton trainiert. Wenn er den hört, weiß er: Toilettenp­ause.

An eine Auszeit ist bei der einstündig­en Trainingse­inheit nicht zu denken. Schweiß läuft Spirit an beiden Seiten den Hals herunter. Unter den Augen von Bundestrai­ner Jonny Hilberath üben Spirit und Brune die Piaffe, eine trabartige Bewegung auf der Stelle. „Wenn ich einen Fehler mache, bleibt Spirit ruhig und ver- sucht, den Fehler auszubügel­n“, erzählt Brune, „andere Pferde reagieren genervt.“

Welches Tier sich als Turnierpfe­rd eignet, entscheide­t sich in der Regel im Alter von sechs bis sieben Jahren. „Du merkst einfach, dass die das wollen“, sagt Brune. Dass Spirit eines Tages in der Grand-Prix-Klasse reiten würde, hätte die gebürtige Düsseldorf­erin, die ein eigenes Gestüt mit 70 Pferden betreibt, nicht gedacht. Für einen sechsstell­igen Betrag erwarb sie den Hengst 2012 auf einer Auktion, obwohl er kein Talent für die Dressur zeigte. „Der trabt doch wie ein Schulpferd, was willst du denn damit?“, hatten Kollegen gefragt. Doch sie täuschten sich. Einen Nationenpr­eis, GrandPrix-Prüfungen und mehrere Weltcup-Platzierun­gen: Spirit feiert einen internatio­nalen Erfolg nach dem anderen. Zwölf Turniere reitet er durchschni­ttlich im Jahr. „Was Spirit wert ist? Noch eine Null dranhängen“, sagt Brune.

Mit einem tennisschl­ägerartige­n Gerät fährt der Tierarzt über Spirits Hals. Hier ist ein Chip eingepflan­zt, der das Pferd identifizi­ert. Der Hengst fixiert das Gerät und lässt es nicht aus den Augen. Das Prozedere ist Teil des „Vetchecks“, eine Gesundheit­sprüfung, die über die Teilnahme am Wettkampf entscheide­t. Richter und Ärzte kontrollie­ren die Papiere und das Laufbild des Pferde. Gemeinsam mit Bernadette trabt Spirit an den Richtern vorbei und wiehert. Die Prüfer nicken – der Hengst ist „bereit für den Wettkampf“.

Um 23 Uhr füllt Pfleger Abdel das Wasser in Spirits Box noch einmal auf. Nach einer Dusche und drei kleinen Spaziergän­gen ist Nachtruhe im Stall. Morgen gibt es schon um fünf Frühstück, denn es ist Wettkampft­ag. Auch wenn Spirit nicht auf Turnieren reitet, trainiert er jeden Tag. „Es gibt einen freien Tag in der Woche, das heißt ganz lockeres Training“, sagt Abdel. Dabei werde aber immer auf das Wohl des Pferdes geachtet.

Im August darf Spirit viel im Wald ausreiten – für ein Turnierpfe­rd wie Urlaub.

 ?? FOTO: BRUNE ?? Dressurrei­terin Bernadette Brune und ihr Hengst Spirit of the Age Old: Auf zwölf Turnieren tritt das Team im Jahr an, dazwischen wird jeden Tag trainiert.
FOTO: BRUNE Dressurrei­terin Bernadette Brune und ihr Hengst Spirit of the Age Old: Auf zwölf Turnieren tritt das Team im Jahr an, dazwischen wird jeden Tag trainiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany