Jedem Bahnhof sein Piano
In zwei Düsseldorfer U-Bahn-Haltestellen stehen für die Zeit des „Asphalt-Festivals“Klaviere, an denen jeder spielen darf. Die Resonanz ist überwältigend. In Städten wie Paris sind Klaviere in Bahnhöfen längst akzeptiert.
DÜSSELDORF Vor einigen Jahren kam es am berühmten Bahnhof Austerlitz in Paris zu einem unerwarteten Happening. Dort hat die französische Staatsbahn SNCF ein altes, aber gut gestimmtes Klavier mitten in eine Wartehalle geschoben. Ein junger Spanier nahm Platz und spielte ein Stück von Ludovico Einaudi. Irgendwann stellte sich ein junger Algerier hinter ihn, griff über den Kopf des Kollegen in die Tasten, bald spielten sie vierhändig, und die ganze wartende gestresste Community wurde verwandelt und in ihren
Bezaubernd, wie das kleine Mädchen Beethovens „Für Elise“ohne Scheu spielt
Bann gezogen. Beide waren keine Profis und kannten einander nicht, aber die Musik machte sie zu Verbündeten. Am Ende zollte der ganze Bahnhof begeistert Applaus.
Solche Szenen gibt es gar nicht so selten in den Bahnhöfen dieser Welt. In Venedig, in Stockholm, in Moskau, in Lissabon – überall finden sich kleine oder große Klaviere, mitunter sogar Flügel, vor denen jeder Passant Platz nehmen und ein Stück spielen darf. Auch im fröhlichen Düsseldorf ist das öffentliche Klavier jetzt angekommen, es steht an zwei U-Bahnhöfen (HeinrichHeine-Allee und Oberbilker Markt).
Faszinierend zu beobachten, was da auf 88 Tasten abgeht: Wie das kleine Mädchen erst zögernd und ungelenk, aber schon mit überraschender Zielstrebigkeit durch Beethovens „Für Elise“eilt. Wie ein rüstiger Herr mit Stock Platz nimmt und den unvermeidlichen „Flohwalzer“in die schwarzen Tasten stichelt. Wie ein offenkundig Versierter die finsteren Eingangsakkorde von Beethovens „Pathétique“donnert. Yann Tiersens melancholischzarte Musik zur „Fabelhaften Welt der Amelie“spielt ein dünner Hering jugendlichen Alters – und kaum jemand, der den Film gesehen hat, will hier achtlos weitergehen. Man müsste Klavier spielen können, seufzt so mancher Jüngling, wenn er die Blicke junger Damen mustert, die dem Pianisten gelten.
Vor allem ist das Klavier ein Magnet, denn die Leute bleiben stehen – neugierig, amüsiert, gebannt. Einige fremdeln mit diesem unerwarteten Kasten und den Klängen, die aus ihm kommen. Und natürlich kommt einmal pro Tag eine resolute ältere Düsseldorferin vorbei, die „Straßenmusiker“am liebsten neben die Landebahn des Flughafens verbannen würde. Viel häufiger erlebt der Beobachter neidische und dankbare Blicke; es bilden sich Trauben von Neugierigen, die gern eine U-Bahn später fahren, um nur noch den elegischen Chopin-Walzer aus den Händen einer fernöstlichen Musikstudentin hören zu können, die extra für die Heinrich-Heine-Al- lee ihre Klaviernoten mitgebracht hat.
Öffentliche Beschallung ist nicht jedermanns Sache, und manchmal dringen sogar die schönsten Töne nicht zum Publikum durch. Vor einigen Jahren machte der weltberühmte Geiger Joshua Bell das Experiment an einem U-Bahnhof von Washington, wo er Solowerke von Bach vortrug und kaum jemand