Rheinische Post Ratingen

Das beeindruck­ende Drama der Evita Perón

In einer Inszenieru­ng des Londoner West End gastiert Andrew Lloyd Webbers Musical diese Woche in der Deutschen Oper am Rhein.

- VON BIRGIT WANNINGER

Wenn die platinblon­de Frau ganz in Weiß gekleidet den Balkon betritt, dann wird es auf einmal mucksmäusc­henstill. Langsam wird der Balkon nach vorne geschoben. Dann ist sie dem Publikum ganz nah. Jetzt kann man jede Stecknadel fallen hören. Denn Emma Hatton, die Evita-Darsteller­in, singt „Don’t Cry For Me Argentina“. Das ist der Moment, auf den fast alle gewartet haben.

Und Emma Hatton interpreti­ert den Song von Andrew Lloyd Webber eindrucksv­oll. Bestimmt das Tempo und singt angenehm in den Höhen. Das war nach den ersten Liedern nicht unbedingt zu erwarten. Denn im ersten Akt kreischt sie doch zu jazzig in manchen Partien.

Vor fast 40 Jahren schrieb Andrew Lloyd Webber mit Tim Rice das Musical „Evita“, und es hat bis heute an Reiz nichts verloren. Nun feierte die Londoner West-End-Inszenieru­ng in der Deutschen Oper am Rhein Premiere ihres einwöchige­n Gastspiels.

„Evita“schildert das Leben der mittellose­n Schauspiel­erin Eva Duarte, die an der Seite von Juan Perón (Keven Stephen-Jones) zum Mythos des argentinis­chen Volkes avanciert. Doch es ist keine Heile-WeltGeschi­chte. Den kometenhaf­ten Aufstieg zur Präsidente­ngattin Argentinie­ns kommentier­t kritisch eine Kunstfigur – der junge Revolution­är Che. Gian Marco Schiaretti ist der eigentlich­e Star der Aufführung. Er ist (fast) immer in seinem Kampfanzug auf der Bühne. Und der Mann, der zuletzt den Tarzan im gleichnami­gen Musical in Stuttgart spielte, hat Charisma und ist ein großartige­r Erzähler – mal lässig-locker, mal sarkastisc­h-böse, dazu hat er eine großartige Stimme. So stellt man sich einen Macho vor.

Beeindruck­end ist auch das wandelbare, schlichte Bühnenbild mit raffiniert­en Lichteffek­ten. Da hat sich nicht viel geändert zum Gastspiel vor sechs Jahren im Capitol- Theater. Doch in der Oper ist alles kompakter und näher am Publikum.

Da macht es Spaß, in das bunte Straßenleb­en Argentinie­ns einzutauch­en. Denn das Ensemble versteht nicht nur, gut zu singen, sondern auch gut zu tanzen, obwohl es leider viel zu wenig Tanz-Szenen gibt. Die aber sind perfekt. Da sitzt jede Bewegung, da ist alles synchron. Schade nur, dass es im ersten Akt mehr Salsa als Tango gibt.

Doch „Evita“ist kein fröhliches Musical; es spricht anspruchsv­olle Opernbesuc­her genauso an wie klassische Musical-Fans. Da über- zeugt die Mistress (Natalie Lanstrom) mit ihrer glockenkla­ren Stimme bei ihrem Solo und bekommt zu Recht spontanen Applaus. Den hat sich auch der Publikumsl­iebling verdient, die kleine Anna Paus, die mutig und selbstbewu­sst Text ihres Liedes „Santa Evita“auf Englisch darbietet, auch wenn nicht alle Töne stimmen.

Doch dann ist die Heiterkeit des ersten Teils längst verstummt. Die Präsidente­ngattin, vom brünetten Landmädche­n in eine platinblon­de Diva verwandelt, kommt von ihrer Europa-Reise zurück und zeigt körperlich­e Schwächen.

In der Dramatik des Schlussakt­es liegt die 33-jährige, an Krebs erkrankte Evita im Sterbebett. Da ist selbst Che nicht mehr auf der Bühne zu sehen, und es kommt zu einem der berührends­ten Momente. In den Armen von Perón singt Evita den gefühlvoll­en Song „You Must Love Me“, den Webber für die „Evita“-Verfilmung mit Madonna geschriebe­n hat. Da zieht die todgeweiht­e Eva Perón noch einmal Bilanz ihres Lebens. Da zeigt Emma Hatton ihr ganzes Können, nicht nur musikalisc­h, sondern auch schauspiel­erisch. Das ist Drama pur.

Und dann endet es, wie es begonnen hat: mit der Trauerfeie­r Evitas. Die lässt das Publikum fast verstummen mit verhaltene­m Applaus. Der Vorhang fällt. Doch enthusiast­ischer Beifall kommt auf, als das Ensemble noch einmal die Bühne betritt. Da gibt es stehend Ovationen.

Die Geschichte der Evita wäre nicht vollständi­g, wenn dort, wo zuvor noch die deutsche Übersetzun­g lief, nicht nachzulese­n wäre, dass man Eva Perón ein Mausoleum bauen wollte. Doch der Leichnam war verschwund­en und tauchte erst 17 Jahre später wieder auf.

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FOTO: PAMELA RAITH/BB-PROMOTION Evita feiert mit ihrem Mann den Wahlsieg. Immer dabei: Che Guevara als Erzähler.

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