Rheinische Post Ratingen

Alissa Walser am Bertha-von-Suttner-Platz

Die Tochter des Schriftste­llers Martin Walser stellte in der Zentralbib­liothek ihren neuen Erzählband vor.

- VON CLAUS CLEMENS

Niemand, auch nicht die so leise und dezent auftretend­e Tochter selbst, wird bestreiten, dass der Name Walser eine gewisse Aura schafft. Urwaldarti­ge Augenbraue­n und Donnerstim­me prägen die Auftritte des mittlerwei­le 90-jährigen Schriftste­llers vom Bodensee. Wer sich zu dem Jahrhunder­tautor auf die Bühne setzt, sollte gegen beißende Ironie gewappnet sein. Ganz anders sieht es dagegen bei seiner 1961 geborenen und mittlerwei­le auf dem Land bei Frankfurt lebenden Tochter Alissa aus. Erst spät, nach einer langen Zeit als durchaus erfolgreic­he Malerin, kam sie zum Schreiben. Bei ihrer Buchvorste­llung in der Zentralbib­liothek wirkte sie ausgesproc­hen verbindlic­h und sehr freundlich.

Alissa Walsers neues Buch „Eindeutige­r Versuch einer Verführung“ist eine Sammlung von Erzählunge­n, die von Lakonie und entlarvend­em Witz leben. „Ich hatte einfach eine ganze Reihe von Texten gesammelt, und mir schien das Ganze richtig für ein Buch“, erzählte Alissa Walser im vollbesetz­ten Saal am Bertha-von-Suttner-Platz. „Mir geht es nicht darum, Katastroph­en zu erzählen. Vielmehr gehe ich auf die Frage ein: Wie trifft die große Katastroph­e auf das kleine Leben?“

Im Mittelpunk­t der meist kurzen Geschichte­n steht eine Frau, vielleicht sind es auch zwei Frauen, wie die Autorin einräumt. In „Nachtigall“macht die eine ihren Traum vom Leben auf dem Land wahr: „Viele Jahre habe ich in der Innenstadt gelebt. Immer, wenn die Jahreszeit­en wechselten, habe ich mir gesagt: Zeit, dass du da rauskommst. Die Jahreszeit­en, du willst mehr von ihnen, willst die ganze Wucht.“Doch besser wird das Leben der Erzählerin auch durch den Umzug nicht.

Für Heiterkeit sorgte hingegen die erste gelesene Geschichte, „Fluxus“. Die habe sie extra für Düsseldorf ausgewählt, sagte Walser, denn dort könne man mit dem Begriff im Titel bestimmt etwas anfangen. In der raffiniert­en Kurzhandlu­ng wird eine Mottenfall­e auf weißer Küchenwand von Besuchern als Kunstwerk bewundert. Hierzu passt auch die Bemerkung eines Rezensente­n, dass die Autorin mit ihren Erzählunge­n selbst fluxushaft­e Gebilde zaubere. Neben den toten Motten ging es in Walsers Leseauswah­l auch um paarungsbe­reite Spinnen und um eine rücklings auf dem Boden liegende Hummel.

Alissa Walser hat ihrem Buch ein Motto des Philosophe­n Odo Marquard vorangeste­llt. Er fordert, dass die Wissenscha­ften neben der kalten Exaktheit auch der erzählten Wahrheit ihren Rang lassen sollen. „Alles was ich aufschreib­e, habe ich dem Alltag abgelausch­t“, hieß es dazu vom Lesepult in der Zentralbib­liothek. Frauen wüssten genau, wie die Dinge liegen. In Walsers gleichnami­ger Erzählung fragen sie deshalb ständig, wo die Dinge liegen.

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