Rheinische Post Ratingen

Ein Verbrechen, das nie gesühnt wurde

- VON SABINE MAGUIRE

Am Abend des 10. Oktober 1969 verschwand der Erkrather Gymnasiast Michael Schmeide spurlos. Sein Mofa wurde im Neandertal gefunden, alles deutete auf einen Unfall hin. Drei Wochen später fiel seine Leiche in der Grube Osterholz der Kalkwerke Oetelshofe­n von einem Abhang.

ERKRATH/HAHNENFURT­H Es war ein düsterer Novemberta­g, um vier Uhr nachmittag­s. Im Büro der Kalkwerke Oetelshofe­n schellte das Telefon. Ein Mitarbeite­r aus dem Steinbruch war an der Leitung. „Der Mann war ganz aufgelöst und hat uns erzählt, dass gerade eine Leiche gefunden wurde“, erinnert sich Seniorchef Hermann Iseke noch ziemlich genau an den 1. November 1969. An diesem Tag sollte die Suche nach einem vermissten Schüler aus Erkrath eine spektakulä­re Wende nehmen.

Der Fall hatte – wie so oft bei Kapitalver­brechen – drei Wochen zuvor mit einer Vermissten­meldung begonnen. Der 16-jährige Erkrather Gymnasiast Michael Schmeide war mit seinem Mofa nach Mettmann gefahren, um dort Freunde in einer Diskothek zu treffen. Seine Mutter wird sich später erinnern, dass ihr Sohn in einem Trenchcoat, einem weißen Pulli mit Stehkragen, einer hellen Cordhose und braun-roten Schuhen das Haus verlassen hat. Seine Freunde haben ihn noch am frühen Abend auf dem Mettmanner Marktplatz gesehen, danach verlor sich die Spur.

Das Mofa des Teenagers wurde am nächsten Morgen auf der Straße zwischen Mettmann und Erkrath in der Nähe der Firma ERWEPA am Straßenran­d gefunden. Der Rückspiege­l war abgebroche­n, vom Fahrer allerdings fehlte jede Spur. Schleifspu­ren in der Nähe des Mofas ließen die mittlerwei­le eingeschal­tete Kriminalpo­lizei vermuten, Michael Schmeide könnte gestürzt sein. Und dennoch standen die Ermittler vor einem Rätsel. War der Sohn eines Düsseldorf­er Geschäftsm­annes von zuhause ausgerisse­n? War er einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Seinen Klassenkam­eraden vom Mettmanner Konrad-Heresbach-Gymnasium hatte der 16Jährige noch am Nachmittag gesagt, er wolle nur kurz in die Diskothek und dann nach Hause zum Abendessen. Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen. Am Abend des 10. Oktober 1969, an dem Michael Schmeide spurlos verschwand, lag ein schwerer Herbstnebe­l auf den Straßen. Alles sprach für einen Unfall, aber wo war der vermisste Schüler? In den folgenden Tagen meldete sich ein Zeuge, der beobachtet hatte, wie ein Lkw-Fahrer mit hoher Geschwindi­gkeit aus der Straße „Am Wiesengrun­d“am Goldberg auf die Hauptstraß­e einbog. Mehr- fach Beinahe-Verkehrsun­fälle verursache­nd, habe der seine Fahrt in Richtung Neandertal fortgesetz­t. Die Analyse der Lackspuren am Mofa des vermeintli­chen Unfallopfe­rs hatte zuvor ergeben, das es sich um einen capriblaue­n HanomagLas­ter mit „Plattschna­uze“des Typs F45, F65 oder „Matador“mit Plane gehandelt haben könnte. Drei Wochen lang blieb die Suche nach dem vermissten Gymnasiast­en erfolglos. Bis zum besagten Novemberta­g, an dem im Steinbruch der Kalkwerke Oetelshofe­n die Leiche eines Jugendlich­en entdeckt wurde. Schnell stand fest, dass es sich bei dem Toten um Michael Schmeide handelt. „In der Nähe des Fundortes hatte es an diesem Tag eine Sprengung gegeben“, erinnert sich der damalige Betriebsle­iter der Kalkwerke Oetelsho- fen Rüdiger Peil. Die Düsseldorf­er Mordkommis­sion wird die Geschehnis­se später so rekonstrui­eren: Vermutlich wurde der 16-Jährige auf dem Heimweg von Mettmann nach Erkrath im Neandertal von einem Lastwagen angefahren und schwer verletzt. Der unbekannte Fahrer zog den Jungen aus und legte ihn im Gebüsch des Steinbruch­s ab, wo er später starb. Durch die Erschütter­ungen ist das Opfer über den Abhang auf die Straße gerutscht, wo ein Arbeiter den völlig entkleidet­en Schüler fand. Die Suche nach der Kleidung des Jungen blieb erfolglos.

Um dem Täter auf die Spur zu kommen, wurden später immer wieder Zeugen befragt und mehr als 250 Fahrzeuge überprüft. Man ging davon aus, dass der Unfallfahr­er ortskundig gewesen sein muss und sein Opfer absichtlic­h an dem zehn Kilometer entfernten Steinbruch abgelegt hat.

Nachdem alle Ermittlung­en der Mordkommis­sion ins Leere gelaufen waren, tauchte kurz nach den Weihnachts­tagen der damalige „Hier-und-Heute“-Fernsehrep­orter Hans-Peter Riehl in Mettmann auf. An den Originalsc­hauplätzen in der Mettmanner Diskothek, an der Unfallstel­le und dem Fundort im Steinbruch der Kalkwerke wurde ein Film über den „Fall Michael Schmeide“gedreht. Während die Polizei auf dem Mettmanner Marktplatz Steckbrief­e verteilte, stellten die Fernsehdar­steller den Besuch des Schülers in der Diskothek nach. Weiter ging es in der Fernschrei­bzentrale des Kreishause­s und in der Funkleitst­elle „Bodo“, von wo aus die Fahndung angelaufen war. An der Unfallstel­le im Neandertal mussten schließlic­h Beamte der Kriminalpo­lizei viermal frierend bei leichtem Schneefall das Mofa des Getöteten finden, bis bei Einbruch der Dunkelheit im Steinbruch der Kalkwerke Oetelshofe­n die letzte Klappe fiel.

Aus 450 Metern Filmmateri­al mit Zeugenauss­agen und den Kommentare­n des damaligen Leiters der Mordkommis­sion, Anton Mätzler, wurde ein 50-minütiger WDR-Beitrag. Die verzweifel­ten Eltern hatten außerdem einen Privatdete­ktiv eingeschal­tet. Der Täter konnte dennoch nie ermittelt werden.

 ?? FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER ?? Am 1. November wurde der Leichnam von Michael Schmeide an den rot angeleucht­eten Silos der Kalkwerke Oetelshofe­n gefunden. Vermutlich war er noch in der Unfallnach­t an der Steinbruch­kante abgelegt worden und Erschütter­ungen hatten drei Wochen später...
FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER Am 1. November wurde der Leichnam von Michael Schmeide an den rot angeleucht­eten Silos der Kalkwerke Oetelshofe­n gefunden. Vermutlich war er noch in der Unfallnach­t an der Steinbruch­kante abgelegt worden und Erschütter­ungen hatten drei Wochen später...

Newspapers in German

Newspapers from Germany