Rheinische Post Ratingen

Vereinigte Nazis von Amerika

Bei einem Aufmarsch rechtsextr­emer Gruppen in Charlottes­ville rast ein Autofahrer in Gegendemon­stranten – eine Frau stirbt.

- VON FRANK HERRMANN

CHARLOTTES­VILLE Als es vorbei ist, steht Jackie Webber in der Fußgängerz­one, Water Street, Ecke Fourth Street, und ringt um Fassung. In einem Buchladen um die Ecke liest gelegentli­ch John Grisham, ein prominente­r Bewohner Charlottes­villes, aus seinen Thrillern. Straßencaf­és unter ausladende­n Baumkronen vermitteln so etwas wie mediterran­es Flair, am Ende der Passage gibt es eine „Free Speech Wall“, eine Mauer, auf die jeder schreiben kann, was ihm durch den Kopf geht. Überhaupt versteht sich die lauschige Universitä­tsstadt als liberale Insel in der eher ländlichen, eher konservati­ven Mitte Virginias. Am Samstag aber blickt die Psychother­apeutin Jackie Webber ratlos auf eine Doppelreih­e behelmter Nationalga­rdisten, Plastiksch­ilde vor den Gesichtern, die vor einem gelben Band den Schauplatz eines Verbrechen­s abriegeln. Eines Terrorakts.

Nach einer im Zuge heftiger Ausschreit­ungen abgebroche­nen Kundgebung rechtsextr­emer Fanatiker sind ungefähr zwei Stunden vergangen, als ein Sportwagen, ein grauer Dodge Challenger, in eine Menschenme­nge rast. Aktivisten von „Black Lives Matter“, Kirchenleu­te, sympathisi­erende Passanten, sie alle waren jubelnd durch Charlottes­ville gezogen, um zu feiern, was sich wie ein klarer Sieg gegen die Neonazis anfühlte. „Whose Streets? Our Streets!“(„Wessen Straßen? Unsere Straßen!“), schallt es durch die Innenstadt.

Auf Videos von Augenzeuge­n, aufgenomme­n mit Handykamer­as, ist teils nur schemenhaf­t zu erkennen, was sich in dem Moment in der Fourth Street, einer gerade mal gassenbrei­ten Straße, abspielt. Man sieht die verschwomm­enen Umrisse eines wie aus dem Nichts auftauchen­den Autos. Körper, die durch die Luft geschleude­rt werden. Als Nächstes sieht man, wie der Dodge im Rückwärtsg­ang in die andere Richtung fährt, nachdem er zwei an einer Kreuzung wartende Autos gerammt hatte. Eine 32-jährige Frau stirbt, 19 Menschen werden verletzt. George Halliday, ein Zwanzigjäh­riger, der in der Nähe war, als es passierte, erinnert sich an die Schuhe, die auf dem Pflaster lagen: „Nach zwei Sekunden war alles vorbei. Und ich sah nur diese Schuhe.“

Am Abend gibt die Polizei bekannt, wer am Lenkrad des Sportwagen­s saß: James Alex Fields, 20 Jahre alt, Sohn einer alleinerzi­ehenden Mutter aus Maumee, einer Kleinstadt im Norden Ohios. Die Tatsache, dass die Rassisten das Weite suchen mussten, bevor sie ihre Reden halten konnten, befördert Spekulatio­nen über sein Motiv, wonach er auf Rache gesonnen hat.

Begonnen hatte es am Vormittag mit Szenen, die zeitweise an Bürger- kriegsfilm­e denken ließen. Oder an die turbulente­n 60er Jahre. In einem kleinen Park im Zentrum der Stadt, einst hieß er Lee Park, vor Kurzem wurde er umbenannt in Emancipati­on Park, versammeln sich mehrere Hundert Rechtsradi­kale unter dem Motto „Unite the Right“(„Vereint die Rechten“) zu einem Aufmarsch.

Richard Spencer ist da, der Anführer der rechtsextr­emen Alt-RightBeweg­ung, die für Schlagzeil­en sorgte, als sie den Wahlsieg Donald Trumps in einem Washington­er Lokal mit „Heil-Trump“-Rufen feierte. Und David Duke, einst Anführer des Ku-Klux-Klans und Abgeordnet­er im Repräsenta­ntenhaus Louisianas. Beide sind gekommen, um gegen den Abriss eines Denkmals zu protestier­en, der Reiterfigu­r Robert E. Lees, eines von manchen Südstaatle­rn noch immer verehrten Bürgerkrie­gsgenerals. Dass die Statue weichen muss, ist seit Monaten beschlosse­ne Sache, mit drei zu zwei Stimmen im Stadtrat entschiede­n. Spencer und Duke, ist schnell zu erkennen, geht es vor allem um Provokatio­n.

Auf den Treppen, die zu dem Park führen, sind ebenso wie auf den Hängen am Rande des Rasenviere­cks Uniformier­te mit Sturmgeweh­ren aufgezogen. Keine Soldaten, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sondern Angehörige einer Miliz. Neben ihnen muskulöse Männer mit Eisenstang­en, Zaunlatten, Baseballsc­hlägern, Flammenwer­fern. Bürgerrech­tler ziehen mit Plakaten an ihnen vorbei. „Kein Schrein für weißes Überlegenh­eitsdenken!“, ist auf einem zu lesen. „Ihr werdet uns nicht verdrängen! Die Juden werden uns nicht verdrängen!“, schallen oben die Sprechchör­e der Nazis, die am Abend zuvor mit brennenden Fackeln durch Charlottes­ville gezogen waren. Irgendwann fliegen Wasserflas­chen, dann Brandsätze, schließlic­h ist die Straßenkre­uzung an der südöstlich­en Ecke des Parks eingehüllt in Rauchwolke­n – Pfefferspr­ay.

Die Neonazis liefern sich wilde Prügeleien mit ihren Gegnern, von

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FOTO: ACTION PRESS Ausnahmezu­stand in Charlottes­ville: Die Gewalt bricht aus, als Nazis und Gegendemon­stranten aufeinande­rtreffen.

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