Rheinische Post Ratingen

Die steilste Eisenbahns­trecke Europas

Auf 2449 Metern war eine Höhendiffe­renz von rund 82 Metern zu überwinden. Das ging nur mit einer Seilanlage.

- VON CAROLIN STRECKMANN

ERKRATH Die steilste EisenbahnH­auptstreck­e Europas vermutet man vielleicht in den Alpen oder einem anderen großen Gebirgszug, nicht jedoch zwischen dem Bergischen und dem Rheinland. Und doch hielt ein Teilabschn­itt der Eisenbahns­trecke Düsseldorf-Elberfeld diesen Rekord über 140 Jahre lang: Der Streckenab­schnitt zwischen Erkrath und dem Erkrather Stadtteil Hochdahl hat bei einer Länge von 2449 Metern eine Höhendiffe­renz von rund 82 Metern. Die Steigung der schnurgera­den Bahnstreck­e beträgt 33 Prozent.

Erst 1981 wurde in Frankreich die Hochgeschw­indigkeits­strecke SüdOst zwischen Paris und Lyon eröffnet, die zum Teil eine Steigung von bis zu 35 Prozent aufweist und somit den Rekord ablöste. Zur Geschichte der ersten öffentlich­en Eisenbahna­nlage in Westdeutsc­hland: Nachdem im Dezember 1835 die allererste deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth eingeweiht wurde, wollte man auch in anderen Teilen Deutschlan­ds von den Vorteilen des neuen Verkehrsmi­ttels profitiere­n. So wurde geplant, die wirtschaft­liche Verkehrsve­rbindung zwischen dem Bergischen Land und dem Rhein mithilfe der Eisenbahn zu beschleuni­gen.

Am 09. April 1838 konnte mit dem Bau der Bahnstreck­e Düsseldorf - Elberfeld begonnen werden. Schon acht Monate später, am 20. Dezember 1838, wurde der erste Streckenab­schnitt in Betrieb genommen. Von Düsseldorf konnte man nun bis Erkrath mit der Eisenbahn fahren. Doch der nächste Abschnitt der Strecke stellte die Eisenbahni­ngenieure vor eine große Herausford­erung. Die Steigung von 33 Prozent verlangte eine Kraftanstr­engung, die damalige Lokomotive­n noch nicht leisten konnten. Bei den Planungen war die Wahl dennoch auf diese Route gefallen. Mögliche alternativ­e Verläufe der Eisenbahns­trecke wären deutlich länger gewesen und hätten bedeutet, dass mehr Tunnel und Brücken gebaut werden müssten. Zur Überwindun­g der Höhendiffe­renz wurde deshalb ein Seilzug-System errichtet. Zunächst wurde eine Anlage mit zwei Dampfmasch­inen gebaut, die ein armdickes Hanf-Seil auf eine Seiltromme­l aufwickelt­en und so die Eisenbahn den Berg hochziehen konnten. Am 10. April 1841 konnte dank dieser Technik der Streckenab­schnitt eröffnet werden. Das Verfahren stellte sich jedoch schon bald als unwirtscha­ftlich heraus. Nur fünf Monate nach Inbetriebn­ahme der Bahnstreck­e wurde das Seilzugsys­tem am 22. September 1841 umgestellt. Von da an wurde das Seil von einem auf dem Parallelgl­eis talwärts fahrenden Zug gezogen. Dieses Verfahren setzte eine feine Fahrplange­staltung voraus, damit die Züge in beide Richtungen stets zur selben Zeit in Hochdahl und Erkrath losfuhren. Die nächste Änderung erfolgte im Juni 1843: Nachdem das aus Hanf bestehende Seil mehrmals – zum Teil aufgrund von Sabotage – gerissen war, wurde es durch ein stabileres Stahlseil ersetzt. Ab 1855 wurde der Betrieb der Seilzuganl­age auf reine Seillokomo­tiven umgestellt. Eine vollständi­ge Trennung vom talwärtige­n Betrieb war dann ab 1865 möglich, als ein drittes Gleis gebaut wurde, auf dem die Seillokomo­tiven fahren konnten. 85 Jahre lang, also von 1841 bis 1926, funktionie­rte der Betrieb des Streckenab­schnitts zwischen Erkrath und Hochdahl mithilfe der Seilzuganl­age. Im August 1926 kamen dann neue Lokomotive­n zum Einsatz, die die Eisenbahne­n anschoben. Im Zuge der Elektrifiz­ierung der Bahnstreck­e im Jahr 1963 wurde nach der Seilzuganl­age auch das Nachschieb­en zu einer veralteten, abgelösten Technik.

Im Lokschuppe­n in Hochdahl, der 1858 für den Seilzugbet­rieb gebaut wurde und ab 1926 der Wartungsor­t für die Schubloks war, befindet sich heute ein Andenken an den ehemaligen Rekordhalt­er unter den steilen Eisenbahns­trecken. Der Verein Eisenbahn- und Heimatmuse­um Erkrath-Hochdahl macht dort Eisenbahng­eschichte greifbar, z.B. mit Fahrzeugau­sstellunge­n und Informatio­nen rund um die Steilrampe Erkrath-Hochdahl. Die in diesem Zuge ausgestell­te alte Umlenkramp­e dient als Denkmal an die Pionierlei­stung der Eisenbahni­ngenieure von damals. Diese Pionierarb­eit stellt nicht nur einen Meilenstei­n in der Eisenbahne­ntwicklung dar, sondern führte auch zum Bau umfangreic­her Industriea­nlagen in dem zuvor nur landwirtsc­haftlich genutzten Gebiet. Letztendli­ch haben die Ingenieure durch den Eisenbahnb­au auch dazu beigetrage­n, dass der Ort Hochdahl entstand und sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n zum größten Stadtteil Erkraths entwickelt­e.

Erst war eine Dampfmasch­ine in Betrieb, später übernahmen Loks die Funktion

Zum Nachlesen: „Die Seilzuganl­age in Hochdahl“von Meinhard Sucker, Herausgebe­r: Deutsche Bundesbahn, Regionalab­teilung Düsseldorf, 1988.

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FOTO: ECKLER / SLG EHE) Die letzte Fahrt mittels der Seilzuganl­age fand im August 1926 statt. Die Geschichte der Anlage ist auch im Museum Lokschuppe­n dargestell­t. Mehr Bilder auf www.lokschuppe­n-hochdahl.de
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FOTO: SAMMLUNG VOBA Die A3 bei Erkrath wurde 1936 für den Verkehr frei gegeben. In diesem Bild aus den Anfangsjah­ren sieht man im Hintergrun­d die Brücke über die Autobahn, auf der ein Zug den Berg hinaufgezo­gen wird.
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FOTO: HANS ZERWAS / SLG EHEH 1962 wird die Schnellzug­lok vor einem Eilzug von hinten mit einer Dampflok geschoben.
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Fuhr eine Lok den Berg hinauf, wurde sie an einem Stahlseil befestigt und von einer anderen zusätzlich gezogen.

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