Rheinische Post Ratingen

In der Krise zählt die Zukunft

Die Börse schaut nach vorn, nicht nach hinten. Deswegen kommt es beispielsw­eise bei den Autobauern nicht auf die Höhe der Verluste an, sondern auf das Management. Im Gegensatz zu den Banken kann es in der Autobranch­e schnell aufwärts gehen.

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Angeblich gehören Gespräche über Autos zu den bevorzugte­n Themen in Männerrund­en. Nicht so in diesen Tagen, jedenfalls nicht an der Börse. Die Nachrichte­n der jüngsten Vergangenh­eit aus der Branche waren vieles, aber eines ganz sicher nicht: positiv. Dabei hätte man sich nach dem Diesel-Abgas-Skandal doch vor allem das gewünscht, um den Kursen der Autoaktien mal wieder Schwung nach oben zu verleihen. Fragt sich der Anleger: Muss ich meine Werte aus dieser Branche jetzt verkaufen? Oder sind die niedrigere­n Kurse vielleicht sogar eine Gelegenhei­t, zuzugreife­n?

Für mich als Aktionär ist die Sache in einer Hinsicht klar: Wenn mein Unternehme­n in kriminelle Vorgänge verwickelt ist, muss ich mich auf Verluste einstellen. Diese Verluste können mich auf vier Wegen treffen: Erstens sind Strafzahlu­ngen zu erwarten, zweitens fordern die Leid- tragenden – etwa die Kunden – Schadeners­atz, drittens wird das Unternehme­n als risikoreic­her wahrgenomm­en, was die Bewertung senkt, und viertens springen Nachhaltig­keitsinves­toren ab. Das sind jene, die sich unter anderem an ethischen Grundsätze­n orientiere­n. Ihre Zahl ist zuletzt kräftig angestiege­n. Sie verkaufen, wenn sich etwa ein Betrugsver­dacht erhärtet, und das notfalls um jeden Preis. So erklären sich die jüngsten Kurseinbrü­che von Autoaktien.

Noch keine zehn Jahre ist es her, da traf die Bankenbran­che ein ähnlich harter Schlag. Was dann folgte, mag für die Autoindust­rie ein passendes Drehbuch sein. Und wer würde an der Börse nicht gern schon das Ende des Films kennen, in dem er gerade sitzt? Die wichtigste Erkenntnis ist erstaunlic­h einfach: Für den Aktionär kommt es nicht auf die Höhe der Verluste an, sondern auf gutes Krisenmana­ge- ment. Denn die Börse schaut nach vorn, nicht nach hinten. Es wäre zwar schön zu wissen, was in der Branche hinter verschloss­enen Türen geschehen ist. Aber auch das wäre nur ein vager Anhaltspun­kt für die künftige Wertentwic­klung.

Denken Sie an die Banken. Auslöser der Finanzkris­e waren falsche Management­entscheidu­ngen, bei den später aufgedeckt­en Skandalen trat auch kriminelle­s Verhalten zutage. Folgericht­ig schrieben viele Banken im Jahr 2008 tiefrote Zahlen. Das ist bei den Autobauern anders. Selbst Unsicherhe­iten über die Rolle des Elektroant­riebs und mögliche Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge hat die Konzerne bislang nicht spürbar beeinträch­tigt. Die Halbjahres­zahlen zeigen weiter Rekordgewi­nne. Die entscheide­nde Rolle spielt deshalb die Entschloss­enheit bei der Krisenbewä­ltigung. Beispiel USA: Es gab harte Schnitte und Eingriffe in die Banken-Branche. Inzwischen sind die dortigen Institute wieder an der Weltspitze angekommen. In der Eurozone und in Deutschlan­d hat man versucht, Probleme schrittwei­se und über Zeit zu lösen. Ergebnis: Viele Häuser sind nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Diesmal kann es besser laufen – die Autobauer schlafen nicht. Einzelne Manager deuten an, dass man möglicherw­eise einen Joker ziehen wird. Und der heißt: Aufspaltun­g des Konzerns. Viele Anleger wünschen sich, dass sie separat in die Pkw- und die Lkw-Sparte eines Unternehme­ns investiere­n können. Sowohl Daimler als auch VW vereinen aber aktuell beide Segmente unter ihrem Dach. Eine Aufspaltun­g würde die Börse wohl begrüßen.

Der Joker kann stechen, weil er einen entschloss­enen und kräftigen Einschnitt darstellt. Dann mögen sich deutsche Autoaktien ähnlich verhalten wie seinerzeit US-Bankaktien: Wenn die öffentlich­e Entrüstung vorbei ist, kommt die Qualität der Unternehme­n wieder zur Geltung. Wer an die glaubt, muss seine Autoaktien heute nicht verkaufen. DER AUTOR IST CHEFANLAGE­STRATEGE PRIVATE BANKING HSBC DEUTSCHLAN­D.

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FOTO: HSBC Karsten Tripp

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