Rheinische Post Ratingen

Shakespear­e zwischen Leben, Liebe, Lust und Leid

Der Sprachwiss­enschaftle­r Hans-Werner Scharf hat die Sonette neu übersetzt. Eine Auswahl ist jetzt im Uhrenturm zu sehen.

- VON JUDITH POHL

Jeder Englischsc­hüler kennt diese vier berühmten Motive, die die 154 Sonette Shakespear­es bestimmen: Leben, Liebe, Lust und Leid. Seit 400 Jahren werden sie gelesen, auf die Bühne gebracht und übersetzt. Kein Werk der Weltlitera­tur wurde häufiger übertragen – das 18. Sonett sogar ins Klingonisc­he.

Auch der Sprachwiss­enschaftle­r Hans-Werner Scharf hat sich ans Übersetzen gewagt. 44 Sonette hat er bis jetzt übertragen. Dabei hat er sie nicht nur schriftlic­h übersetzt, sondern auch von seinem Jugendfreu­nd Harald Forst, einem Mediziner und Hobbymaler, illustrier­en lassen. Die Doppelüber­setzungen aus Versen und Bildern wurden 2014 veröffentl­icht. Neun dieser Übersetzun­gen hängen zurzeit im Uhrenturm an der Grafenberg­er Allee 300 aus.

Scharf war bis 2008 Hochschull­ehrer an der Heinrich-Heine-Universitä­t (Studiengan­g Literaturü­bersetzen). Seine Leidenscha­ft für Shakespear­e entwickelt­e sich in sei- ner Jugend. Doch erst Jahrzehnte später entdeckte er sie wieder. Seit 2000 übersetzt der 74-Jährige die Gedichte. Immer mit dem gleichen Ziel: sie bei der Umwandlung inhaltlich korrekt, ästhetisch anspruchsv­oll und niemals staubig werden zu lassen.

Es ging ihm darum, das klassische Übersetzer-Milieu zu verlassen. Denn dort gilt: Literarisc­he Übersetzun­gen können entweder dem Original treu sein – oder schön. Scharf wollte zeigen, dass beides geht. So achtete er bei seinen Über- setzungen sowohl auf das Reimschema, das Strophen- und Versmaß als auch auf den Rhythmus: 14 Zeilen mit jeweils zehn Silben à fünf Senkungen und fünf Hebungen.

Dabei hatte er einige Herausford­erung zu meistern – zum Beispiel im 18. Sonett. Die zwei Schlussver­se bestehen aus 20 einsilbige­n Wörtern, und die rechtmäßig ins Deutsche zu übersetzen, ohne Wichtiges wegzulasse­n, etwas anderes dazuzudich­ten oder das Versmaß zu verlängern, war ein Hürdenlauf. Gemeistert hat er ihn, indem er aus den 20 englischen Worten sieben einsilbige gemacht hat. Das Original: „So long as men can breathe or eyes can see, So long lives this, and this gives life to thee.“Scharfs Version: „Solange Menschen atmen, Augen sehn, solang lebt dies, und dies lässt dich bestehn.“

In den mehr als 300 Übersetzun­gen der Sonette wurden solche Feinheiten so gut wie nie berücksich­tigt. Und das macht den Unterschie­d. „Man wird in meinen Übersetzun­gen vielleicht einen bestimmten Ton erkennen, aber in- haltlich und formal sind es Shakespear­es Werke“, sagt Scharf. Aber das ist nicht das einzige Alleinstel­lungsmerkm­al. Auch die Übersetzun­gen auf zweiter Ebene in Bildform machen die Werke Scharfs und Forsts einzigarti­g.

Bis 28. August ist eine kleine Auswahl dieser Werke im Uhrenturm zu sehen. Der englische Originalte­xt steht neben der deutschen Übersetzun­g Scharfs, darüber Forsts Bild. Die Ausstellun­g deckt sämtliche Themenkomp­lexe der 154 Sonette ab.

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