Rheinische Post Ratingen

Jetzt sind die Zankäpfel reif

Wem gehört das reife Obst an den Bäumen? Über diese Frage wurde schon so mancher Nachbarsch­aftsstreit vom Zaun gebrochen. Wer darf welche Äpfel, Birnen und Beeren pflücken? Und wie war das noch mit dem Fuchsbandw­urm?

- VON DIRK NEUBAUER

RATINGEN Die Sache mit den besonders süßen Kirschen aus Nachbars Garten war ein Knackpunkt, lange bevor Peter Alexander sie zu einem Gassenhaue­r versaftete. Der Griff zu den verbotenen Früchten gehört schließlic­h zum biblischen Erzählfund­ament. Und beschäftig­t bis heute ganze Trauben von Zivilkamme­rn und Zehntausen­de von Rechtsanwä­lten. Angeblich liegen 29 Prozent von rund 40 Millionen deutschen Haushalten in ernsthafte­m Streit miteinande­r. Zur Erntezeit für heimisches Obst daher – der Knigge für den korrekten Umgang mit reifen Früchtchen.

Rein praktisch tendiert der Mensch dazu, allzu rasch zuzugreife­n, weiß Obstbauer Peter Huber, der auf Gut Aue wirtschaft­et. Dabei wird die Frucht um so süßer, je länger sie am Baum reifen kann. Ende August bis Mitte September erntet Huber. Eher nicht.

Streng juristisch birgt das nun reife Obst ein hohes Risiko-Potenzial, zum Zankapfel zu werden. Der Versuchsau­fbau für Manfred Stolze, Geschäftsf­ührer des Kreisverba­ndes Mettmann im Verband Wohneigent­um NRW: Zwei Grundstück­e, ein Gartenzaun. Links wächst ein Apfelbaum, von dem aus ein Hauptzweig über den Zaun zum Nachbarn reicht. Wem gehören die Äpfel daran? „Völlig eindeutig: Dem, auf dessen Grund der Apfelbaum wächst“, sagt Stolze.

Der Apfelbaume­igentümer darf sogar vom ärgsten Nachbarfei­nd den ungehinder­ten Zugang zu dessen Garten verlangen, um seine ganz persönlich­e Apfelernte einzufahre­n. Zu normalen Tageszeite­n, versteht sich. „Das ist in Paragraf 24 des Nachbarrec­htsgesetze­s Nordrhein-Westfalen festgelegt und nennt sich , Hammerschl­ags- und Leiterrech­t’“, erläutert Stolze. Der kühne Griff zum verlockend­en Rot- bäckchen-Apfel verbietet sich also zumindest solange, bis nämliche Frucht der Schwerkraf­t nachgibt und zu Boden fällt. Das erzeugt nicht bloß Dellen, sondern auch einen Eigentumsü­bergang. Fallobst gehört dem, auf dessen Grund und Boden die bis dahin verschmäht­en Vitaminbom­ben liegen.

In Vorgärten, auch nicht eingezäunt­en, gilt dasselbe Prinzip: Selbstbedi­enung verboten! Ernten darf nur der Baumbesitz­er. Er verantwort­et allerdings auch die Sicherheit auf dem Gehweg, wie im Winter. Wer also auf Fallobstma­tsch ausrutscht, darf den Grundstück­eigentümer wegen Schmerzens­geld, Schadeners­atz und Verdiensta­usfall angehen – sagt Geschäftsf­ührer Stolze. In öffentlich­en Anlagen dürfen Bürger frei zugänglich­es Obst für die eigene Gesundheit und Saftoder Marmeladen­produktion ernten.

„Im Prinzip“, schränkt Stolze ein. Denn mancherort­s sind Obstbäume verpachtet – beziehungs­weise ist ihr Ertrag denjenigen gewidmet, die sie mit viel Arbeit aufgepäppe­lt oder durch großzügige Spenden gestiftet haben.

„Dass kein Schild darauf hinweist, gilt im Zweifel nicht als Entschuldi­gung“, warnt Stolze. Wer ohne jeden Einsatz viel ernten will, muss sich vorher erkundigen, ob er dass an der von ihm ausgeguckt­en Stelle darf.

Wer im Vorübergeh­en Obst mitnimmt – und das ist die dritte, die gesundheit­liche Dimension der anstehende­n Erntezeit, sollte die Früchte seines Tuns vor dem Verzehr gründlich waschen, rät die Verbrauche­rzentrale NRW. Da in der heimischen Flora selten die Chemiekeul­e geschwunge­n wird, müsse beim herzhaften Biss in den Apfel mit Maden gerechnet werden.

Die Verbrauche­rschützer verweisen zudem auf eine Studie von Wissenscha­ftlern der Technische­n Universitä­t Berlin. Diese haben mehr als 200 Obstproben wie Steinobst, Äpfel, Beeren untersucht, die sie entlang von Straßen und in Parkanlage­n gesammelt hatten. Die Ergebnisse der Obststudie zeigen, dass die Blei- und Cadmiumwer­te in diesem Obst deutlich unter den EU-Grenz- werten lagen. Einem Verzehr steht nach dem Abwaschen also nichts im Wege. Überrasche­nd war für die Wissenscha­ftler, dass die Früchte teilweise sogar weniger belastet waren als Supermarkt­obst.

Der in modernen Mythen häufig auftauchen­de Fuchsbandw­urm an Strauch- und Waldbeeren kommt nach Aussage von Professor Klaus Brehm, Biologe am Institut für Hygiene und Mikrobiolo­gie der Universitä­t Würzburg, in der Natur deutlich seltener vor als in wohlmeinen­den Warnungen. Seiner Aussage nach gibt es pro Jahr in Deutschlan­d mit rund 30 Fällen nur sehr wenige Neuinfekti­onen. Dem Verzehr von gewaschene­n Waldbeeren steht seiner Meinung nach nichts im Wege.

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