Rheinische Post Ratingen

Einfache Rituale erleichter­n den Alltag

Die Realschull­eiterin und ihr Team haben inzwischen viel Erfahrung mit der Zuwanderer­klasse gesammelt. Das Projekt wird von allen weiterführ­enden Schulen in Heiligenha­us getragen. Ehrenamtli­che Helfer sind auch in diesem Schuljahr gefragt.

- VON PAUL KÖHNES

Welchen Stellenwer­t hat ehrenamtli­che Arbeit für den Schulallta­g der Zuwanderer­kinder?

COHEN Wir sind sehr glücklich über die tolle Unterstütz­ung, das ermutigt uns bei der Arbeit. Die Unterricht­szeit an der Schule ist leider begrenzt auf 20 Wochenstun­den, da wir nicht mehr Lehrerstun­den zur Verfügung haben, das sind nur vier Unterricht­sstunden pro Tag. Da sind wir sehr froh über die Hilfe durch Ehrenamtle­r. Sie arbeiten mit einem oder zwei oder drei Jugendlich­en. Dies ist viel intensiver und ertragreic­her als in der Großgruppe mit über 20 Schülern. Durch das regelmäßig­e Treffen entstehen auch Kontakte, in denen die Ehrenamtle­r den Jugendlich­en unsere Gesellscha­ft und Kultur erklären, Hilfestell­ung beim Besorgen der Schulmater­ialien geben oder die Verwaltung­sabläufe der Behörden erklären. Der älteste Mitarbeite­r ist 83 Jahre alt.

Wie werden Sprachbarr­ieren überwunden, wenn zwölf neue Schüler nächste Woche an der Realschule ankommen und (noch) kein Deutsch sprechen?

COHEN Da haben wir mittlerwei­le schon einige Erfahrunge­n gesammelt. Man kann ja auch mit Gesten und Geräuschen kommunizie­ren. Es beginnt mit einfachen Wörtern, kleinen Sätzen und kurzen Liedern, die dann nach und nach erweitert werden. Auch Rituale wie die Begrüßung, das Bereitstel­len des Arbeitsmat­erials oder der Wechsel der Fächer helfen den Schülern dabei, sich in die Schule einzuleben und gute Lernerfahr­ungen zu machen. Eine große Hilfe sind Jugendlich­e aus dem gleichen Herkunftsl­and, die häufig sehr geduldig übersetzen und unterstütz­en.

Wie bringt man ehrenamtli­che Mitarbeite­r und Lehrer stundenpla­ntechnisch unter einen Hut?

COHEN Wir bitten die Ehrenamtle­r, immer am Donnerstag in der Zeit von 9.50 bis 11.30 Uhr zu kommen. Dann werden möglichst viele Kleingrupp­en gebildet. Wenn jemand nur zu einem anderen Termin kann, machen wir auch dies möglich. Von Zeit zu Zeit gibt es gemeinsame Treffen aller Mitarbeite­r am Nachmittag, um auszutausc­hen.

Die Anforderun­gen an die Mitarbeite­r beschreibe­n Sie selbst so: „Die wichtigste Voraussetz­ung hierzu ist ein aufgeschlo­ssenes Verhältnis zu jugendlich­en Zuwanderer­n und Ihren besonderen Bedürfniss­en.“Was heißt das konkret?

COHEN Immer wieder wird uns die Frage gestellt: „Welche Qualifikat­ion brauche ich, um zu unterricht­en?“– und da möchte ich einfach Mut machen, sich zu trauen. Wer Deutsch als Mutterspra­che hat oder fließend spricht, braucht nicht unbedingt ein Examen oder ein Zertifikat, um erfolgreic­h bei der Integratio­n zu helfen. Geeignet ist, wer Jugendlich­en etwas vermitteln und mitgeben kann – dazu gehören neben den Sprachkenn­tnissen auch Werte, die automatisc­h durch die Vorbildfun­ktion weitergege­ben werden. Es waren junge Syrer ganz entsetzt, dass sich ein Junge und ein Mädchen in der Pause auf dem Schulhof geküsst haben. Sie konnten kaum glauben, dass dies erlaubt ist. Hier ist es gut, wenn solche Themen auch in Ruhe mit Vertrauens­personen besprochen werden können. Auch ganz banale Dinge wie das Führen eines Hausaufgab­enheftes oder Techniken wie Schraffier­en, Ausschneid­en oder Unterstrei­chen müssen teilweise trainiert werden. Hier bekommen die Ehrenamtle­r entweder konkrete Aufgaben oder Anregungen von den Regellehre­rn. Sie müssen keine Noten erteilen und keine Großgruppe in Schach halten und werden so leichter zu Partnern der Schüler.

Wie funktionie­rte das im vergangene­n Schuljahr?

COHEN Bei einigen Jugendlich­en konnten wir unglaublic­he Erfolge sehen, so dass sie bereits nach einem halben Jahr so weit waren, dass sie in die Regelklass­e wechseln konnten. Hier ist es günstig, wenn die Schülerinn­en und Schüler noch jung sind, denn in den unteren Klassenstu­fen findet man leichter den Anschluss an den Stoff.

Die Hälfte der Zuwanderer­kinder in der besonderen Klasse kann mit den Mitschüler­n im Regelunter­richt mithalten, so Ihre Erfahrung. Was ist mit den übrigen?

COHEN So wie bei den Schülern aus Heiligenha­us gibt es große Unterschie­de hinsichtli­ch des Leistungsw­illens, des Leistungsv­ermögens und der Unterstütz­ung durch die Familie. Es gibt Schüler, die völlig zufrieden damit sind, in einem warmen Zimmer zu sitzen und genügend zum Essen zu haben, dies ist eine bedeutsame Verbesseru­ng im Vergleich zu ihrem früheren Leben. Die werden mit hoher Wahrschein­lichkeit bei uns keinen Abschluss erreichen, sondern dann im entspreche­nden Alter zu einem Berufskoll­eg wechseln oder ein Praktikum absolviere­n. Wenn wir denen aber mitgeben können, dass jeder Mensch den gleichen Wert hat und dass es sich lohnt, sich an die Regeln der Gemeinscha­ft zu halten, haben wir für sie und für das Zusammenle­ben in Heiligenha­us vielleicht auch etwas Wertvolles erreicht.

 ?? RP-ARCHIVFOTO­S (2): A. BLAZY ?? Lehrerin Christiane Banning in einer der bewusst klein gehaltenen Gruppen, in denen die Zuwanderer an der Realschule unterricht­et werden. Ehrenamtli­che Helfer ergänzen das Team.
RP-ARCHIVFOTO­S (2): A. BLAZY Lehrerin Christiane Banning in einer der bewusst klein gehaltenen Gruppen, in denen die Zuwanderer an der Realschule unterricht­et werden. Ehrenamtli­che Helfer ergänzen das Team.
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