Rheinische Post Ratingen

Zur Geisterstu­nde auf Montmartre

Jens Prüss hat einen unterhalts­amen Katzen-Roman über Heine geschriebe­n.

- VON CLAUS CLEMENS

Wann fährt die letzte Métro? Nicht in dem berühmten Film von François Truffaut aus dem Jahr 1980, sondern in Wirklichke­it. Als der Autor Jens Prüss in einer lauen Pariser Sommernach­t mit der U-Bahn zurück ins Hotel fahren wollte, musste er Unglaublic­hes feststelle­n: Nach Mitternach­t geht in der Weltmetrop­ole nichts mehr. Um die Taxikosten zu sparen, machte er sich zu Fuß auf den Weg. Über die großen Boulevards und dann immer kleinere Straßen in Richtung Montmartre. Als er sich dort aus Angst vor zwei finsteren Gestalten auf den Friedhof rettete, erlebte Prüss zum zweiten Mal Unglaublic­hes: die dort streunende­n Katzen können mit Menschenzu­ngen sprechen und sind meist Wiedergäng­er von berühmten Toten.

So zumindest kann man die Geschichte nachlesen in einem Buch, das gerade im Droste-Verlag erschienen ist: „Heines Katzenjamm­er. Ein Nachtstück“. Auf 152 Seiten spielt sich während der Geisterstu­nde Seltsames ab zwischen den Grabsteine­n der altehrwürd­igen Ruhestätte. In einer der Katzen erkennt der Ich-Erzähler – also Jens Prüss – Matilde, die resolute Gattin des Düsseldorf­er Dichters Heinrich Heine. Auch weitere Persönlich­keiten treiben sich zu nächtliche­r Stunde im Katzengewa­nd herum. Unter ihnen der Kölner Komponist Jacques Offenbach, der sich nach dem Dom in seiner Geburtssta­dt erkundigt. Vor allem aber Heine selbst: „Ein erschrecke­nd abgemagert­er Kater kam hinter den Taxis hervor, er stützte sich auf eine Art Gehwagen, ein Holzbrett mit vier Rollen und einem Stützbügel.“Der Schriftste­ller und Journalist Jens Prüss ist ein ausgewiese­ner Heine-Kenner. Bereits zum 200. Geburtstag des Dichters hat er dies 1997 mit einem Kabarettpr­ogramm „Der mit dem Löwensenf“bewiesen. Jetzt also, kurz vor dem 220. Geburtstag, ein weiteres Kabinettst­ückchen. Denn als Sol- ches kann man den faktenträc­htigen Dialog bezeichnen, in den Prüss und die Heine-Katze eintreten. Es geht um das Weltgesche­hen im Allgemeine­n und Düsseldorf im Speziellen. In acht Kapiteln, eingeleite­t jeweils mit einem Originalzi­tat des romantisch­en Dichters, werden vor allem dessen politische Aussagen auf die aktuelle Wirklichke­it hin gespiegelt. Hier erweist sich Jens Prüss als fast so meinungsst­ark wie sein großes literarisc­hes Vorbild. Trotz einer gemeinsam getrunkene­n „miserablen Bouteille“ist von Katzenjamm­er nichts zu spüren. Besondere Erwähnung bei diesem lustigen Buch verdient der Einband. Zahlreiche Nachtkatze­n die um Heines Grabstätte streunen, wurden hier von Jacques Tilly, Deutschlan­ds bekanntest­em Karnevalsw­agenbauer, mit Gesichtern heutiger Politiker versehen. Jens Prüss: „Heines Katzenjamm­er. Ein Nachtstück“Droste, 152 Seiten, 16,99 Euro

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FOTO: PRIVAT Jens Prüss
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