„Ich sehe gern im Tragischen das Komische“
Der österreichische Autor über das Ende der Nationalstaaten im Allgemeinen und seinen Brüssel-Roman im Besonderen.
MENASSE sem Projekt Europa zu arbeiten. Es ist ja nicht so einfach, alles zurückzulassen, dort wo man herkommt, Familie und Freunde und Heimat hat, auch wenn man ein sehr gutes Gehalt dafür bekommt. Das produziert irgendwann eine ganz neue Form des Alltags und des ZuhauseSeins. Es bleibt nur noch die Heimat in einem Projekt und die Heimat in Brüssel – einem schrulligen Babel mit seinen verschiedenen Sprachen und all seinen Widersprüchen. Die vielen Sprachen und die vielen Identitäten verhindern aber auch, dass man in einer Blase lebt.
Dieses Brüssel betrachten Sie aus schelmischer Perspektive. Wenn Sie etwa den Eurokraten Susmann zur Gedenkfeier nach Auschwitz schicken und er fürchtet, sich dort wegen der Kälte den Tod zu holen …
MENASSE Ich sehe gern im Tragischen das Komische, noch lieber das unzulässig Komische. Zugleich bin ich ein schwermütiger Mensch, der verzweifelt Heiterkeit sucht. Es gibt also immer auch depressive Strömungen in meinen Texten. Die Kommissionsbeamten dieser Generation haben alle einen Hang zur Schwermut. Weil sie sehen, wie grottendumm viele Behinderungen sind. Und die eine neue Generation an Eurokraten sieht, die ihre Ideale nicht mehr hat; die also nur noch als Karrieristen unterwegs sind.
Was mich persönlich betrübt, war, dass ausgerechnet das Kulturressort eine Sackgasse für die Laufbahn von Eurokraten ist. Jeder, der dort arbeitet, will in ihrem Buch so schnell wie möglich weg.
MENASSE Viele, nicht alle. Aber das ist leider die Realität; und auf der anderen Seite auch vollkommen logisch. In Deutschland ist die Kultur eine Angelegenheit der Länder. Also müssten alle Länder erst ihre Kompetenzen an den Bund abgeben, der diese dann der EU überträgt. In den meisten Mitgliedsstaaten ist es so kompliziert. Das heißt: Die Generaldirektion für Kultur und Bildung kann in diesem Gefüge nur schwach sein. Aber dieser Generaldirektion Kultur verdanken wir – also sie und ich und die Leser und Buchhändler - doch auch, dass die Buchpreisbindung gehalten hat. Das stand ja wirklich auf der Kippe. Das sollten die vielen Kritiker der Europäischen Union auch einmal bedenken. LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.