Rheinische Post Ratingen

Kreuzberge­r Lebensküns­tler

Mit Kunst ist nicht viel zu holen, aber gesoffen wird immer: Sven Regener schreibt mit seinem neuen Roman „Wiener Straße“die Geschichte von Herrn Lehmann fort.

- VON WELF GROMBACHER

Was macht eigentlich Herr Lehmann? Der macht mittlerwei­le die Toiletten im Café Einfall in Kreuzberg sauber und tut das, wie alles, was er anpackt, sehr gewissenha­ft. „Das Klo zu putzen war kein Spaß, aber Frank wollte darüber nicht nachdenken, es gibt eine Zeit zum Nachdenken und es gibt eine Zeit zu handeln, dachte er, und so wie es hier in den Klos aussah, war es Zeit zu handeln, was man hier sieht, darf man keinem erzählen, dachte Frank.“

„Eine Kneipe ist nicht David Bowie, eine Kneipe kann man nicht neu erfinden“

Sven Regener weiß, wovon er spricht. Kurz nachdem er 1982 nach Berlin kam, putzte er selbst die Klos im Café Swing am Nollendorf­platz (Als „Urlaubsver­tretung“für einen Kumpel, der das jeden Tag machen musste). Mit der Band Element Of Crime lief es noch nicht so. In Wuppertal wäre die Band fast mal verhungert, weil kein Geld fürs Essen da war. Regener selbst verdiente sich seinen Lebensunte­rhalt damals bei der „Zweiten Hand“durch Abtippen von Kleinanzei­gen und musste jedes Mal kündigen, wenn eine Tour anstand, weil er so lange keinen Urlaub bekam. Im neuen Roman „Wiener Straße“kehrt er jetzt zurück ins Westberlin der 80er Jahre und schreibt seine Lehmann-Trilogie fort. Die Handlung knüpft direkt an „Der kleine Bruder“(2008) an.

Frank Lehmann und seine Kumpels Karl Schmidt, H. R. Ledigt und Chrissie müssen bei Erwin raus, weil dessen Frau schwanger ist. Direkt über der Kneipe „Einfall“besorgt Erwin ihnen eine Wohnung. Dass alle Wände schwarz sind, ist egal. Kann man ja streichen. Außerdem sind die vier eh die meiste Zeit unten im Café, wo die alte Kaffeemasc­hine immer noch auf dem Tresen thront, obwohl sie lange schon kaputt ist. Die „Leute, die abends große Mengen Alkohol“trinken, tun das „am liebsten in einer gewohnten Umgebung“, hat Erwin als Wirt ganz richtig erkannt. „Eine Kneipe ist nicht David Bowie“, sagt er, „eine Kneipe kann man nicht neu erfin- den, dann kann man sie auch gleich zusperren.“

Einmal mehr erzählt der 1961 in Bremen geborene und mittlerwei­le im Prenzlauer Berg lebende Sven Regener von der Kreuzberge­r Szene, wie sie einmal war. Von all den Hängern und Lebensküns­tlern, die im Schatten der Mauer einfach so in den Tag hineinlebt­en und sich in endlosen Sinnlos-Dialogen verloren haben.

H. R. Ledigt beispielsw­eise erklärt verbrannte Tortenstüc­kchen zu Kunst, indem er Deutschlan­dfähnchen hineinstec­kt, und will doch tatsächlic­h Schadeners­atz haben („Genau wie Beuys damals mit der Badewanne“) als eine Gruppe japanische­r Touristen sie verspeist. Und die Hausbesetz­er von der ArschArt Galerie nebenan machen im ehemaligen Friseurlad­en – in dem es früher „Intimfrisu­ren“gab – eine Kneipe auf und wechseln das Me- tier: „Ich meine, mit der Kunst sind wir so weit vorne, da ist auf absehbare Zeit nicht viel zu holen, aber gesoffen wird immer.“

Sicher, es gibt herrlich komische Stellen auch im neuen Roman. Wenn Wiemer, der in seiner aktiven Zeit als Punkmusike­r das Sozialpäda­gogikstudi­um „zwar nicht an die große Glocke“hängte, es aber „diskret und mit Beharrlich­keit“zu Ende gebracht hat, einen Job in der Fixerstube „Drückeberg­er“kriegt und danach Sozialarbe­iter im Kulturzent­rum Artschlag wird. Dass er selbst sich immer nur als „Kulturmana­ger“bezeichnet, steht auf einem anderen Blatt.

Im Vergleich zu den früheren Büchern aber bleibt Sven Regeners „Wiener Straße“seltsam unausgewog­en. Der dramaturgi­sche Bogen ist flach. Die Dialoge zünden nicht. Alle wollen sie kreativ sein, egal wie! Es geht um die „Entakademi­sie- rung“der Kunst in den 80er Jahren. Aber auch das nur irgendwie am Rande. Während bei seinen Liedtexten für Element Of Crime jede Silbe sitzt, schnoddert Sven Regener seine Romane einfach so runter. Den neuen hat er in gerade Mal einem halben Jahr geschriebe­n.

Manchmal schreibt er ganze Seiten ohne Punkt und Komma. Dann wieder wie eh und je. Er wechselt häufiger als früher die Perspektiv­e, so dass Frank Lehmann nur eine Figur von vielen bleibt.

Der Roman landete indes auf der Longlist des Deutschen Buchpreise­s. Sven Regener ist eben angesagt. Gerade läuft die Verfilmung von „Magical Mystery oder: Die Rückkehr von Karl Schmidt“in den Kinos an. Nein, der Mythos des alten Kreuzbergs ist noch nicht auserzählt. Sven Regener hat ihn im neuen Buch einfach nur schlecht erzählt.

 ?? FOTO: LAIF ?? Sven Regener (56) erfolgreic­h als Musiker und Schriftste­ller.
FOTO: LAIF Sven Regener (56) erfolgreic­h als Musiker und Schriftste­ller.

Newspapers in German

Newspapers from Germany