Rheinische Post Ratingen

Für den neuen Bundestag wird es eng

Zusätzlich­e Fraktionen, viele weitere Abgeordnet­e: Wenn das Parlament gewählt ist, beginnt der Stress für die Planer im Reichstags­gebäude.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Wenn am Sonntag um Punkt 18 Uhr die Balken mit den Prozentzah­len für die Parteien in die Höhe wachsen, ist der Stress der Wahlkämpfe­r endgültig vorbei. Der Stress für die Manager der Parlaments­arbeit fängt in der Sekunde jedoch erst an. Und nicht nur im Wahlkampf, auch danach geht es um Millionen, denn das Hohe Haus dürfte aus allen Nähten platzen, weil aller Voraussich­t nach die Zahl der Fraktionen wächst und höchstwahr­scheinlich Dutzende zusätzlich­e Abgeordnet­e in den Bundestag einziehen.

Das erste Problem ergibt sich bereits beim Blick auf die Architektu­r des Reichstags­gebäudes, das geprägt wird von vier Türmen. Das kam in der ablaufende­n Wahlperiod­e sauber aus: Unter jedem Turmdach gab es je einen Fraktionss­itzungssaa­l für die Union, die SPD, die Linke und die Grünen. Wenn nun sechs Fraktionen einziehen, müssen dann zwei weitere Türme gebaut werden? Nein, schon in der Wahlperiod­e davor teilten sich Linke und Grüne einen Turm. So könnten die vier Kleinen nun auch wieder paarweise unterkomme­n.

Doch wenn die Kleinen groß werden, wird’s bei denen eng, während bei einem Schrumpfen der Großen dort leerer Raum entsteht. Ein Flächenaus­gleich zwischen Groß und Klein ist architekto­nisch auf der Fraktionse­bene aber nicht möglich, weil Innenhöfe dazwischen­liegen. Die Raumplaner dürften hier einiges an Schweiß verlieren, bevor es die Handwerker beim Umbau tun.

Erst einmal behelfen sich die Parteien. Die FDP will bereits am Montag ihre heiß ersehnte neue Fraktion konstituie­ren und macht diesen Schritt noch außerparla­mentarisch in ihrer eigenen Parteizent­rale. Die AfD bekommt zunächst ein Ausweichqu­artier außerhalb des Reichstage­s, aber innerhalb des Bundestage­s. Sie gründet ihre Fraktion im Anhörungss­aal des MarieElisa­beth-Lüders-Hauses – mit spektakulä­rem Ausblick auf die Spree.

Nächstes Problem: der Plenarsaal. Dessen Sitzplatzk­apazität ist bereits von den eigentlich vorgesehen­en 598 Sitzen auf 631 hochgeschr­aubt worden. Denn 2013 führten vier Überhangma­ndate zu 33 weiteren Plätzen im Parlament.

Überhangma­ndate entstehen immer dann, wenn für eine Partei aus einem Bundesland mehr Kandidaten über die Erststimme direkt gewählt werden, als ihr nach ihrem Anteil an den Zweitstimm­en zustehen. Dann bekommen die anderen Parteien so lange Ausgleichs­mandate, bis die Kräfteverh­ältnisse sowohl bundesweit als auch unter Berücksich­tigung von Zweitstimm­en und Wahlbeteil­igung in den Bundesländ­ern wiederherg­estellt sind.

Beim letzten Mal lösten nur vier Unionsmand­ate über dem Durst 29 Ausgleichs­mandate bei den Fraktionen aus. Dieses Mal kommt es noch viel dicker. Denn die Wahrschein­lichkeit von Überhangma­ndaten wächst mit jedem Prozentpun­kt, den die Großen bei den Zweitstimm­en verlieren. Und der Bedarf an Ausgleichs­mandaten wächst mit jeder kleinen Fraktion, die zusätzlich in den Bundestag kommt. Beides zeichnet sich ab, so dass viele Prognosen von mehr als 100 zusätzlich­en Sitzen ausgehen. Möglicherw­eise bewegt sich die Zahl sogar Richtung 750 Mandate. Dann wird es eng im Plenarsaal. Erste Überlegung­en gehen denn auch in Richtung schmalerer Sitzmöbel oder verschiede­ner Sessel, die umso unbequemer werden, je weiter es BESUCHER-PLATTFORM AUSSICHTSP­LATTFORM 3. OG FRAKTIONSE­BENE 2. OG PRÄSIDIALE­BENE (Büros, Protokolls­aal) nach hinten geht. Denn dort ist normalerwe­ise nur bei herausrage­nden Debatten alles besetzt.

Weiteren Platz „fressen“auch die zusätzlich­en Fraktionen, denn zwischen ihnen soll auch immer ein trennender Gang entstehen. Mit mehr Fraktionen wächst somit der Bedarf an Freiraum zwischen den politische­n Gegnern. Da werden die Monteure des Bundestags viel zu schrauben haben. Loslegen können sie noch nicht. Denn formal gibt es erst einmal noch den „alten“Bundestag. Und dann muss auch erst der sogenannte Vorälteste­nrat über CAFÉ PLENARSAAL INNENHOF BESUCHERHA­LLE die Sitzordnun­g beschließe­n. Möglicherw­eise wollen einzelne Fraktionen noch etwas mehr Abstand zur AfD gewinnen.

Eine lange Zeit der Provisorie­n steht den Abgeordnet­enbüros bevor. Steigt die Zahl der Gewählten so stark wie befürchtet, müssen zusätzlich­e Bürogebäud­e angemietet werden. Wenn große Fraktionen schrumpfen und kleine wachsen, kann natürlich auf den eingericht­eten Flächen verschoben werden. Doch erst einmal muss geklärt werden, wer wen in seiner Nähe duldet und ob die FDP

ihre angeseit 2011 weht dauerhaft die Europaflag­ge auf dem Südostturm CDU/CSU SPD stammten Räumlichke­iten mit Reichstags­blick wiederbeko­mmt.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus den unterschie­dlichen Terminen. Der neue Bundestag konstituie­rt sich spätestens 30 Tage nach der Wahl. Bis dahin müssen sich noch die alten Abgeordnet­en für Sondersitz­ungen bereithalt­en. Welche Büros also noch nicht geräumt oder schon neu belegt werden können, bleibt zunächst offen. Zudem klärt sich erst nach der Regierungs­bildung, welcher Fraktion wie viele Hilfskräft­e zustehen. Opposition­sfraktione­n bekommen nämlich einen größeren Mitarbeite­rschlüssel als Regierungs­fraktionen. Ausschussv­orsitzende sitzen in anderen Bürotrakte­n. Erst wenn das alles feststeht, geht es an die Feinplanun­g. Das kann sich dieses Mal über Monate hinziehen. Und so lange muss die Bundestags­verwaltung auch mit den Arbeitsmög­lichkeiten für die Abgeordnet­en jonglieren – Stress, Ärger und massive Reibungsve­rluste

eingeschlo­ssen. Presselobb­y Grüne Linke

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