Partner verzweifeln oft daran, dass sie keine Antworten auf Fragen bekommen, obwohl die Liebste online war
Viel zu oft ist es doch so: Man schreibt per WhatsApp hin und her, dass man sich demnächst mal treffen könnte. Das wäre nett. Findet der andere auch, egal ob Freund oder Flirt. Alles läuft recht gut, bis zu folgendem Punkt:
Ich: „Sollen wir uns am Mittwoch um 19 Uhr an der Königsallee treffen?“
Ein graues Häkchen (Nachricht an den Freund oder Flirt versendet). Zwei graue Häkchen (Nachricht zugestellt). Nichts. Ein paar Stunden später: zwei blaue Häkchen (Nachricht gelesen). Wieder nichts. Eine Antwort bleibt aus. Wieso und warum, das versickert im Äther der digitalen Unverbindlichkeit. Verwirrender wird es nur, wenn am Mittwoch um 19.15 Uhr das Handy klingelt und der andere sagt: „Wo bist du denn? Ich stehe hier an der Kö und warte auf dich.“Hä? Man möchte ja nicht sagen, früher war alles besser. Aber früher hätte man kurz angerufen und die Sache geklärt. Am Telefon sagt man zumindest „ja“, brummt ein zustimmendes „mh“oder mit vollem Mund eben „daf pafft“. Schon weiß jeder, was Sache ist. Aber einen Anruf macht heute kaum noch einer. Schon gar nicht für scheinbare Kleinigkeiten wie Aufgabenverteilung oder Terminabsprachen.
Dass auch dabei jede Menge schiefgehen kann, merken die meisten erst, wenn sie an der falschen Haustür klingeln oder eben nur einer von beiden zum Termin erscheint. Aber warum macht man das dann so?
„Messenger-Dienste wie WhatsApp bedeuten eine völlig neue und immer noch sehr junge Form, Schrift zu verwenden“, sagt Beat Siebenhaar, Professor für Linguistik an der Universität Leipzig und WhatsApp-Forscher. Seit gerade mal 20 Jahren klimpern wir unsere Botschaften ins Internet hinein. Kein besonders langer Zeitraum. „Deshalb haben sich in den Messenger-Diensten auch noch keine Kommunikationsrituale etabliert.“Das liegt laut dem Forscher auch daran, dass ihr Zweck nicht so klar definiert ist wie bei den bisherigen Kommunikationsmitteln: „Wenn Schrift für die Ewigkeit halten soll, meißelt man sie in Stein. Will man über große Distanzen kommunizieren, schreibt man Briefe. WhatsApp nutzt man aber nur für die reine Unterhaltung.“
Entsprechend kommt es in der Online-Kommunikation schon mal zu Verwirrungen. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sich zu melden? Und wie drückt man sich richtig aus? Eine Milliarde Menschen weltweit verschicken täglich 55 Milliarden Nachrichten über die grüne App mit dem weißen Hörer – und trotzdem gibt es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten. Genau genommen herrscht auf WhatsApp eine Kommunikations-Anarchie.
Denn niemand muss den anderen mehr zu Hause am Festnetz abpassen. Es gibt auch kein langes Klingeln mehr. Keinen Zwang ranzugehen. Keinen lauten Anrufbeantworter. Nur einen kurzen Signalton und eine geschriebene Nachricht, auf die man reagieren kann, wenn es einem in den Kram passt. Und das kann auch mal Tage oder Wochen dauern. Der Automatismus fehlt. Man kennt das aus anderen Situationen: Mails erstmal ungeöffnet im Posteingang lassen. Fragen per SMS erstmal überdenken und in Gruppen-Chats zunächst die anderen antworten lassen.
Natürlich hat diese Freiheit auch Vorteile: Man kann arbeiten, einkaufen, zum Frisör gehen, die Kinder versorgen und in ein Flugzeug steigen und trotzdem nebenbei per WhatsApp Gespräche führen – eben weil man jeder Zeit reagieren kann, aber niemals muss. Das kann Beziehungen auch verbessern. Für mehr Verbundenheit sorgen. Aber ob das so ist, hängt mehr denn je von den Kommunikationsweisen des Einzelnen ab.
„Am Telefon trifft man viele Absprachen unbewusst, weil man auch die kleinen Veränderungen in Tonlage und Wortwahl des anderen direkt mitbekommt und darauf reagieren muss“, sagt Cyberpsychologin Catarina Kratzer. „Auf WhatsApp kann man zwar auch Gefühle und Gedanken äußern, aber es ist insgesamt eine reduzierte Unterhaltung. Wer sich nicht festnageln lassen will, muss es auch nicht. Er kann einfach keine Antwort geben oder sie lange hinauszögern.“
Die Unverbindlichkeit ist in der virtuellen Welt das, was die Schwerkraft in der Realität ist: Man bemerkt sie nicht, aber sie wirkt anziehend auf alles und jeden. Korrekte Rechtschreibung und Grammatik beispielsweise spielen für viele bei der Nutzung von Messengern ebenfalls keine Rolle. Die gängigste Begrüßung besteht in einem schlichten „Hey“, für das Tippen des Namens bleibt schon überhaupt keine Zeit mehr. Und so etwas wie das Wörtchen „Tschüss“hat sich in der digitalen Sprache gar nicht erst etabliert.
„An einem Brief hat man früher mitunter Stunden gesessen. Das Produkt war wichtig. Heute schreibt man, um sich zu unterhalten. Das heißt, es zählt nur, ob ich verständlich bin. Nicht, ob es schön geschrieben ist“, sagt Siebenhaar. Es bleibt dann dem Empfänger überlassen, sich Nachrichten wie „hey, ich nib aus malorca zurück“, schön zu lesen.
Dass dieses non-konforme Tippen auch Auswirkungen auf die normale Kommunikation hat, ist dann auch nicht mehr verwunderlich. „Viele nutzen WhatsApp auch als Selbstschutz“, sagt die Cyberpsychologin Catarina Kratzer. „Gerade bei schwierigeren Gesprächen bietet es die Möglichkeit, sich nicht so stark involvieren zu müssen. Man kann zum Beispiel Mitgefühl bekunden und sich trotzdem heraushalten.“Aus diesem Grund greifen laut der Psychologin gerade jüngere Menschen immer weniger zum Hörer. „Viele verlernen auch, was es bedeutet, ein Gespräch mit Tiefgang zu führen, also zum Beispiel detailliert nachzufragen, am Thema dranzubleiben oder einen Gedanken zu diskutieren. Die Internetkommunikation mehr richtig zu.“
Das Problem ist nur: Man kann nicht nicht kommunizieren, um es mit den Worten von Kommunikations-Papst Paul Watzlawick zu sagen. Wer auf WhatsApp schweigt oder Themen auslässt, tut das je nach vorangestellter Frage sehr lautstark für den Empfänger.
Kein Wunder also, dass WhatsApp auch eine Art Joystick für die emotionale Stimmungslage des Gegenübers ist – vor allem in Paarbeziehungen. Stimmt die Menge an Fotos, Herzchen-Emojis und Antworten auf Fragen, ist die Welt rosarot. Stimmt sie nicht, droht ein Rosenkrieg.
„Ungleichgewichte sind in einer Partnerschaft mit einer geringeren Beziehungsstabilität und mit einer höheren Trennungsabsicht verbunlässt das nicht Dinge ausprobiert“, sagt Siebenhaar. Man solle also im Zweifel mehr nachfragen, Wünsche äußern oder sich auf eine Reaktion bei wenig Zeit einigen, etwa ein bestimmtes Emoji. „Und man muss lernen, Gesprächsmuster zu erkennen, die in einer Gruppe schon herrschen oder die man mit einer anderen Person teilt.“
Immerhin zumindest das schnelle Antworten üben die jungen Leute laut Siebenhaar längst. Weil es bei der großen Menge von Gruppenchats, Facebook-Gesprächen und anderen Messengern, die sie nutzen, nicht anders geht. Vielleicht ist das Rezept für eine bessere OnlineKommunikation also: einfach abwarten. So zehn bis 20 Jahre.
Oder man wählt eben doch mal schnell eine Nummer, um sein Anliegen zu klären. Oder man wird doch für einen Moment altmodisch und versetzt all die virtuellen NichtAntworter für einen Moment in die gute alte persönliche Gesprächssituation. Dann würden solch unverbindliche Terminabsprachen nämlich in etwa so ablaufen:
Ich: „Sollen wir uns Mittwoch um 19 Uhr an der Königsallee treffen?“
Gegenüber sieht mich an, verzieht keine Miene und schweigt. Stille. Irgendwo geht ein Luftzug. Stille. Es wird Nacht.
Seit gerade mal 20 Jahren klimpern wir unsere Botschaften ins Internet hinein – und warten immer auf Antwort