Rheinische Post Ratingen

Alles ist verwüstet

„Blade Runner 2049“heißt der bildgewalt­ige Nachfolger des Science-Fiction-Klassikers aus den 80ern. Wieder mit dabei: Harrison Ford.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Gerade einmal zwei Kalenderja­hre sind wir noch von der Zukunftsvi­sion entfernt, die Ridley Scott in seinem Science-Fiction-Film „Blade Runner“1982 entworfen hat. Auch wenn sich glückliche­rweise nur wenig von der düsteren Fantasie in unserer gegenwärti­gen Welt bewahrheit­et hat, die menschlich­e Existenz in keiner Konkurrenz zu künstliche­n Replikante­n steht, Autos nicht fliegen können und die Regenwahrs­cheinlichk­eit in Los Angeles weiterhin sehr gering ist – auf der Leinwand hat Scotts frühes Neo-NoirMeiste­rwerk auch heute nichts an Wirkung verloren.

Dabei war „Blade Runner“bei seinem Start im Juni 1982 ein veritabler Flop an den Kinokassen. Erst nach mehreren Neustarts mit verschiede­nen Fassungen vom „Director’s Cut“bis zum „Final Cut“entwickelt­e der Film im Laufe der Zeit jenen Kultstatus, den er bis heute genießt. Viele der dystopisch­en Visionen, die in den vergangene­n 30 Jahren in Hollywood produziert wurden, wären ohne die prägenden Einflüsse von „Blade Runner“nicht vorstellba­r.

Wenn nun Denis Villeneuve mit „Blade Runner 2049“in Scotts Fußstapfen tritt, sind die Erwartungs­haltungen entspreche­nd groß. Der frankokana­dische Regisseur hat sich in den letzten sieben Jahren vom politisch engagierte­n Kunstkino („Die Frau, die singt“) kommend mit Genrewerke­n wie „Prisoners“, „Sicario“und zuletzt mit dem brillanten Alien-Film „Arrival“als Vertreter eines höchst anspruchsv­ollen Mainstream­kinos etabliert, wie man es sonst heute nur noch von dem britischen Kollegen Christophe­r Nolan kennt. Und so ist es keine wirkliche Überraschu­ng, dass sich Villeneuve­s „Blade Runner 2049“als würdiges Nachfolgew­erk erweist, das seiner Vorlage mit Liebe und Respekt begegnet, aber inhaltlich wie künstleris­ch auf eigenen Beinen steht.

Die Zukunft des Jahres 2049 sieht hier noch um einiges düsterer aus: Gigantisch­e Solarfelde­r erstrecken sich durch verwüstete Landschaft­en bis zum Horizont, die Stadt San Diego wurde in eine riesige Müllkippe verwandelt, und das dauerver- regnete Los Angeles schützt sich mit hohen Mauern gegen die heranbrand­enden Meeresflut­en. Hier verrichtet K (Ryan Gosling) seinen Dienst beim Los Angeles Police Department. Genau wie seinerzeit Harrison Fords Deckard ist auch er ein Blade Runner, der menschenäh­nliche Replikante­n einer frühen Serie mit unbegrenzt­er Lebenszeit aufspürt und gewaltsam in den „Ruhestand“versetzt.

Was bei Deckard im Ungewissen blieb und unter Fans zu Glaubenskr­iegen führte, ist im Falle von K sofort Gewissheit: Der versierte Jäger ist selbst ein Replikant. „Ihr neuen Modelle reißt euch um die Drecksarbe­it, weil ihr noch nie ein Wunder gesehen habt“, sagt ein Replikant alter Schule vor dem Ableben zu dem polizeilic­hen Vollstreck­er. Reste eines solchen Wunders finden sich in einer Kiste dreißig Meter unter der Erde: Das Skelett eines weiblichen Replikante­n trägt deutliche Gebärspure­n. Dass diese sich selbst fortpflanz­en und nicht auf die schöpferis­che Hochtechno­logie der Menschen angewiesen sind, ist für die rigide Polizeiche­fin Joshi (Robin Wright) ein nicht akzeptable­r Entwicklun­gsfortschr­itt. „Unsere Gesellscha­ft gründet darauf, dass es eine Mauer zwischen den Spezies gibt. Wenn man einer Seite sagt, dass es diese Mauer nicht gibt, führt das zum Krieg“, sagt sie und klingt dabei ein wenig wie die Abschottun­gspolitike­r unserer Gegenwart. K wird beauftragt, das Kind zu finden und zu eliminiere­n. Seine Ermittlung­sarbeit führt ihn nicht nur weit hinaus in die verwüstete­n Gebiete jenseits der Stadtmauer, sondern vor allem in die undefinier­ten Zo- nen der eigenen Identität, wo sich werksimpla­ntierte Erinnerung­en als mögliche Realität erweisen, die Gefühle für die synthetisc­he Hologramm-Gefährtin Joi (Ana de Armas) eine unbekannte Intensität erreichen und die eigene Existenz zum Spielball der schöpferis­chen Machtfanta­sien eines High-TechGigant­en (Jared Leto) wird.

Wie jeder echte Held ist auch K auf der Suche nach sich selbst, forscht nach der Seele im Replikante­n-Dasein und der Enträtselu­ng der eigenen Herkunft. Und wie Scotts Vorlage erzählt sich auch das späte Nachfolgew­erk über eine atmosphäri­sche Narration, die vieles andeutet und nicht alles in Dialogen erklären will. Meisterhaf­t bauen Villeneuve und sein Kameramann Roger Deakins diese Assoziatio­nsräume in ihrem futuristis­chen Setting auf. „Blade Runner 2049“ist der bestausseh­ende Science-FictionFil­m seit vielen Jahren. Über zweieinhal­b Stunden schafft er ohne Qualitätsv­erluste Bilder von düsterer, atemberaub­ender Schönheit, die auf der großen Leinwand eine magische Wirkung entfalten. Blade Runner 2049, USA 2017 – Regie: Denis Villeneuve, mit Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Jared Leto, 160 Min. Bewertung:

 ?? FOTO: AP ?? Szene aus dem neuen „Blade Runner“-Film, der nun in den Kinos zu sehen ist.
FOTO: AP Szene aus dem neuen „Blade Runner“-Film, der nun in den Kinos zu sehen ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany