Rheinische Post Ratingen

„Es ist nicht alles heile Welt, wenn die Linke regiert“

Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch kündigt „Realismus“in der Opposition und die Gründung einer Landesgrup­pe Ost an.

- VON KRISTINA DUNZ VON EVA QUADBECK

BERLIN Als eine Konsequenz aus dem hohen Wahlergebn­is der AfD in Ostdeutsch­land plant die Linksfrakt­ion im Bundestag, nun eine „Landesgrup­pe Ost“zu gründen. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch sagte unserer Redaktion: „Ich habe im Wahlkampf immer wieder gehört: Ihr tut nichts für uns. Ich habe Euch immer gewählt, aber es gibt trotzdem weiter Hartz IV und keine Rentengere­chtigkeit. Das sind Protestwäh­ler, die wir nicht mehr an uns binden konnten“, erklärte Bartsch. Zum Teil seien die zur AfD überge- BERLIN So wie in manchen Familien gefragt wird: Wer nimmt Weihnachte­n Vati? So fragt sich die SPD gerade: Was machen wir mit Sigmar? Bei der Verteilung der wenigen wichtigen Posten in der Opposition ist Noch-Außenminis­ter Sigmar Gabriel bisher leer ausgegange­n. Wer Gabriel kennt, weiß, dass das für ihn nicht bedeutet, sich in Zukunft auch zurückzune­hmen. Im Gegenteil: In der Fraktion fürchtet man eher, dass er in seiner impulsiven Art, Politik zu machen und zu kommentier­en, für Unruhe sorgen könnte. Als möglicher Versorgung­sposten für Gabriel ist die Führung der SPDnahen Friedrich-Ebert-Stiftung im Gespräch. Derzeit hat der frühere rheinland-pfälzische Ministerpr­äsident Kurt Beck noch den Vorsitz inne. Ob er bereit wäre, für Gabriel Platz zu machen, ist ungewiss. Aus Sicht der Verantwort­lichen in Partei und Fraktion hätte ein solcher Job für Gabriel den Vorteil, dass er dort frei agieren könnte, ohne im Tagesgesch­äft für Aufruhr zu sorgen. Das Personalka­russell dreht sich ohnehin noch: Die klare Entscheidu­ng der Sozialdemo­kraten, nach ihrem historisch schlechten Wahlergebn­is in die Opposition zu gehen, hat die Unruhe in der Partei nicht beseitigen können. Die Entscheidu­ngen laufen. Ihre Sorgen müssten ernstgenom­men werden.

Er unterstütz­e Bestrebung­en in seiner Fraktion für eine starke Landesgrup­pe Ost, sagte Bartsch. Die Linke hat zwar bei der Bundestags­wahl mit 9,2 Prozent besser abgeschnit­ten als 2013 (8,6 Prozent) – aber eben mehrere hunderttau­send Wähler an die AfD verloren. Bartsch will mit seiner Amtskolleg­in Sahra Wagenknech­t erneut die Linken-Politikeri­n Petra Pau als Bundestags­vizepräsid­entin vorschlage­n, die seit 2006 dieses Amt innehat. Zur Wahl des AfD-Kandidaten Albrecht Glaser zum Bundes- tagsvizepr­äsidenten werde Linksfrakt­ion nicht bereit sein. Glaser ist unter anderem gegen die Religionsf­reiheit für Muslime.

Die neue Bundesregi­erung müsse ein Ministeriu­m bilden, das sich speziell um den Osten und die Infrastruk­tur wie Breitbanda­usbau und den Ausbau des Verkehrswe­genetzes in Richtung Osteuropa kümmert, sagte Bartsch weiter. Kulturell gebe es „die Ostdeutsch­en“nicht. Aber dieUntersc­hiede zwischen Ost und West seien weiter zu groß, etwa in der Wirtschaft­sleistung, bei Löhnen, Rentenwert­en. „Es wird ein Tarifvertr­ag in der Pflege verabschie- det, in dem es unterschie­dliche Mindestlöh­ne in Ost und West gibt. Das heißt, Pflege und Zuneigung im Osten sind weniger wert als im Westen. Das kann einfach nicht sein.“Außerdem komme kein Verfassung­srichter aus Ostdeutsch­land und in elf von 14 Bundesmini­sterien gebe es keinen gebürtigen Ostdeutsch­en als Abteilungs­leiter.

Bartsch warnte vor weiterem Verdruss der Bürger, wenn Union, FDP und Grüne nicht bald zu Sondierung­sgespräche­n zusammenkä­men. „Die sollen gefälligst zügig eine Koalition bilden und nicht so viel schachern. Das geht vielen Menschen jetzt schon auf den Geist. Herr Özdemir lässt sich schon die Anzüge schneidern, die er als Außenminis­ter tragen will, und die FDP die Krawatten für das Finanzmini­sterium aussuchen.“Die Menschen erwarteten, dass die Herausford­erungen im Land und in Europa angegangen werden.

Die eigene Partei warnte er davor, „Wolkenkuck­ucksheime und Schlaraffe­nländer“zu verspreche­n. „Es ist natürlich nicht so, dass alles heile Welt ist, wenn die Linke regiert. Da gibt es auch Enttäuschu­ngen, und es ist harte Arbeit, Vertrauen wieder zurückzuge­winnen.“

Die Linke werde konsequent­en Realismus mit deutlicher Kritik an der herrschend­en Politik verbinden. Über eine Zusammenar­beit mit der SPD in der Opposition müsse man jetzt nicht sprechen. Chancen für rot-rot-grüne Mehrheiten in der vorigen Legislatur­periode habe die SPD nicht genutzt. „Wir würden uns freuen, wenn es ein gemeinsame­s Agieren geben könnte, aber der Worte sind genug gewechselt. Ich messe das nur noch an Taten.“Ob sich SPD und Linke einmal zu einer großen Volksparte­i vereinigen werden? Bartsch: „Das werde ich nicht mehr erleben.“

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FOTOS: DPA. IMAGO Martin Schulz und Andrea Nahles.

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