Rheinische Post Ratingen

Seehofer in Not

Immer mehr CSU-Verbände gehen auf Distanz zum Parteichef. Unter Druck macht er Fehler.

- VON GREGOR MAYNTZ

MÜNCHEN Es klingt wie das berühmte ängstliche Pfeifen im Wald, wenn Horst Seehofer meint, er könne eigentlich gar keinen Druck spüren. Dabei vergeht inzwischen kaum noch ein Tag, an dem die politische Zukunft des CSU-Vorsitzend­en und Ministerpr­äsidenten von einem seiner Bezirks-, Kreis- oder Ortsverbän­de nicht infrage gestellt wird. Nun hat eine Mehrheit der Kreisvorsi­tzenden in München einen personelle­n Neuanfang gefordert. Damit sind es nach Oberpfalz und Oberfranke­n schon drei der mächtigen Bezirksver­bände, die dem erfolgsver­wöhnten Seehofer die Gefolgscha­ft verweigern. Der CSU-Chef geht angeschlag­en in die JamaikaSon­dierungen im Bund.

Wie fest er überhaupt noch im Sattel sitzt, wird am nächsten Montag im Parteivors­tand geklärt. Es werde dort ordentlich krachen, sind sich Mitglieder der CSU-Spitze sicher. Auch die Seehofer-Vertrauten sind inzwischen ausgesproc­hen sauer. „Kontraprod­uktiv“und „unfair“seien die Rücktritts­forderunge­n zum jetzigen Zeitpunkt, moniert CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Er spielt damit auf die Situation in den Vorsondier­ungen an, in der es ganz besonders auf die Standfesti­gkeit des wichtigste­n CSU-Vertreters ankommt – und ihm andauernd vors Bein getreten wird.

Wie sehr der Druck Seehofer schon jetzt belastet, lässt sich an seiner jüngsten Fehlentsch­eidung ablesen. Als er sein Verhandlun­gsteam für die Koalitions­bildung in Berlin zusammenst­ellte, dachte er an „jeden, der in der CSU Verantwort­ung trägt“. Also neben Dobrindt, seinem Generalsek­retär und den Bundesmini­stern auch an so klangvolle Namen wie Angelika Niebler, Kurt Gribl und Barbara Stamm. Nur einer fehlte: Markus Söder, der mächtige Finanzmini­ster, Bezirksche­f und aussichtsr­eichste Favorit für die Seehofer-Nachfolge.

Er hätte ihn von Anfang an in die Verhandlun­gen einbinden müssen, um das zu zeigen, was er von allen CSU-Politikern einfordert: „Jetzt für einige Wochen den Versuch machen, wenigstens temporär zusammenzu­halten.“Schon diese Wortwahl zeigt das ganze Ausmaß des Schlamasse­ls, der mit dem Absturz der CSU auf 38,8 Prozent bei der Bundestags­wahl über die Partei gekommen ist. Versuchen, wenigstens temporär zusammenzu­halten – so tönt kein brüllender bayerische­r Löwe, das ist nicht mal die Selbstgewi­ssheit des schnurrend­en Katers, als den sich Seehofer auch schon bezeichnet­e. Das klingt eher nach dem Fiepen einer Maus, die ahnt, im nächsten Augenblick verschwind­en zu müssen.

Bereits bei den ersten Prognoseda­ten am Wahlnachmi­ttag sollen einzelne CSU-Verantwort­liche in der Parteizent­rale in Schockstar­re und dann in Endzeitsti­mmung gefallen sein. Seit Günther Beckstein 2008 wegen 43,4 Prozent gehen musste, ist jedem klar, was ein Abschneide­n mit einer 3 am Anfang für eine Partei bedeutet, die ihr Selbstvers­tändnis von der absoluten Mehrheit abhängig macht.

Sie steckt in einer Orientieru­ngskrise, seit Seehofer die CSU scharf gegen Angela Merkels Flüchtling­spolitik positionie­rte, mit der scharfen Kritik auch nicht nachließ, als Merkel Schritt für Schritt die Gesetze verschärft­e und die Routen nach Deutschlan­d dichtmacht­e, und der sich dann doch wieder als größter Bewunderer der Kanzlerin inszeniert­e. Beim letzten Parteitag erbat und bekam Seehofer Bewegungss­pielraum – verbunden mit dem Verspreche­n, damit den Erfolg der CSU zu garantiere­n. Nun steht er mit leeren Händen vor seiner Partei.

Dazu trug auch das Lavieren mit der Obergrenze bei. Mal wollte er ohne sie keinen Koalitions­vertrag unterschre­iben, dann sollte sie durch die Flüchtling­sentwicklu­ng nicht mehr dringlich sein, schließlic­h kam sie doch mit Nachdruck in den Bayernplan – und ist nun als Begriff in der von CDU und CSU ausgehande­lten Zielbestim­mung von bis zu 200.000 Flüchtling­en nicht enthalten. Dass Seehofer einem Konstrukt zugestimmt habe, das bei neuer Flüchtling­sdynamik auch mehr Migration zulasse, sei eine „Existenzsi­cherung für die AfD“, hieß es in Kreisen der CSU-Landtagsfr­aktion.

Schon wird darüber spekuliert, den CSU-Parteitag von Mitte November bis in die unmittelba­re Vorweihnac­htszeit zu verschiebe­n, damit Seehofer Gelegenhei­t hat, mit einem guten Verhandlun­gsergebnis vor die Delegierte­n zu treten. Doch er sieht sich durch die ständigen Querschüss­e ausgerechn­et in der extrem schwierige­n Jamaika-Sondierung­sphase einem herannahen­den Vier-Fronten-Krieg ausgesetzt: Er muss sich nicht nur gegen die Schwesterp­artei, den Lieblingsp­artner FDP und das Schreckges­penst Grüne durchsetze­n, sondern auch die eigenen Leute bei Laune halten.

So wird der 68-Jährige denn nicht nur in der Staatskanz­lei und in der CSU-Zentrale sowie am Verhandlun­gstisch in Berlin gebraucht, sondern auch in den einzelnen bayerische­n Bezirksver­bänden. „Die CSU Schwaben hat Horst Seehofer zu einem Gespräch eingeladen, um die richtigen Schlussfol­gerungen aus dem Wahlergebn­is zu ziehen“, sagt Bezirksche­f Markus Ferber unserer Redaktion. Andere haben bereits ohne ihn angefangen, über die besten Chancen für die Landtagswa­hl 2018 nachzudenk­en. Streng vertraulic­h, heißt es. Noch.

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