Rheinische Post Ratingen

Ein guter Grund zum Heulen

Der Herbst ist die Zeit für Zwiebelkuc­hen, doch die scharfe Knolle kann in der Küche noch viel mehr – auch als Solistin. Da zählen die paar Tränen nicht.

- VON MARTINA STÖCKER

Tricks, ihnen zu entgehen, gibt es viele: Nur durch den Mund atmen, ein nasses Brettchen und ein feuchtes Messer benutzen, einen Schluck Wasser in den Mund nehmen, eine Taucherbri­lle aufsetzen. Und dann gibt es noch diese Häckselmas­chine, die eine Zwiebel in kleine Stücke zerlegt. Aber eigentlich sammeln sich die Tränen doch immer in den Augenwinke­ln, und spätestens, wenn der Koch die zweite oder dritte Zwiebel in Angriff nimmt, fangen sie an zu kullern.

Aber es gibt weitaus schlimmere Anlässe, ein paar Tränen zu vergießen. Vor allen Dingen zahlt die Zwiebel den Flüssigkei­tsverlust mit ihrem Aroma heim, das wie ein Geschmacks­turbo für alle Gerichte wirkt: Suppen, Eintöpfe, Schmorgeri­chte, Braten oder ein Tomatensug­o – sie wären alle höchstens nur die Hälfte wert, wenn dabei die Zwiebel nicht mitspielen dürfte. Eigentlich ist kaum ein Gericht – Süßspeisen und Kuchen ausgenomme­n – besser ohne Zwiebel dran. Man muss nur mit ihr umzugehen und sie zu bändigen wissen. So überlagert eine rohe Zwiebel fast alles, aber wenn man sie vorher ein wenig wässert, blanchiert oder gar brät, verwandelt sich die Penetrante aus der ersten Reihe in eine Hinterbänk­lerin.

Zwiebeln sind auch nicht gleich Zwiebeln. So ist die große Gemüsevari­ante relativ mild im Geschmack, ebenso die rote Zwiebel, die deshalb gerne roh verwendet wird. Die braune Haushaltsz­wiebel ist ein Alleskönne­r. Schalotten werden in der feinen Küche geschätzt, weil sie würzig, aber nicht so scharf schmecken – ebenso die weiße Zwiebel. Die kleinen Perl- und Silberzwie­beln landen meist mit Gürkchen im Essigwasse­r. Auch die italienisc­he Borettane wird häufig eingemacht. Frühlingsz­wiebeln peppen den Salat auf oder bringen einen frischen Kick bei Wok-Gerichten. Und dann gibt es noch regionale Besonderhe­iten: Die längliche Tropea-Zwiebel zum Beispiel ist in Italien eine geschützte Bezeichnun­g, die süddeutsch­e Höri Bülle ist eine Passagieri­n in der Arche der bedrohten Sorten.

Groß raus kommt eine Zwiebel auch als Solistin, zum Beispiel wenn man sie füllt, wird sie eine wunderbare Vorspeise oder ein kleiner Snack. Zwei Beispiele: Man halbiert rote Zwiebeln, kocht sie im Salzwasser etwa drei Minuten. Dann pult man das Innere bis auf zwei, drei Schichten (es muss eine stabile Form geben) heraus. Das Innere wird gehackt, und dann mit dem Fleisch einer Aubergine oder Zucchini und ein wenig Käse nach Geschmack vermengt und gewürzt. Dann die Zwiebeln füllen und ca 25 Minuten bei 200 Grad backen. Ähnlich köstlich ist eine Variante bei gleicher Vorgehensw­eise in weißen Zwiebeln. Dafür bereitet man eine Farce aus Thunfisch (oder Hackfleisc­h), Toastbrot, Ei und Parmesan. So süß und würzig schmecken sie dann, dass sie auch Zwiebelgeg­ner überzeugen. Und wir haben noch nicht einmal von Zwiebelmar­melade oder Confit angefangen.

Zwiebeln sind günstig und gesund. Sie stärken das Immunsyste­m und wirken entzündung­shemmend. Gerade im Herbst kommt die Zwiebel wieder zu Ehren. Wenn sie zum Beispiel hauchdünn geschnitte­n den Flammkuche­n veredelt oder in größerer Kompakthei­t den Zwiebelkuc­hen schmackhaf­t macht. Sie harmoniert mit Äpfeln, rundet Speck oder würzigen Käse ab. Solch ein Kuchen ist wahrlich schnell gemacht. Zwiebeln sind lange haltbar, daher hat sie fast jeder immer im Haus, genauso wie Mehl, Salz, Öl und ein wenig Trockenhef­e. Zutaten für 6-8 Personen beziehungs­weise 3 Bleche: Teig 720 g Mehl, 4 El Olivenöl, 2 Tl Salz, 1 Würfel Hefe, 400 ml lauwarmes Wasser Belag 12 mittelgroß­e Zwiebeln, ein Stück magerer Schinkensp­eck, 2 Becher Schmand, Rosmarin und Thymian Zubereitun­g Für den Teig die Hefe im lauwarmen Wasser auflösen und mit den Zutaten zu einem Teig Wer dann noch eine Not-Saure-Sahne oder Frischkäse im Kühlschran­k findet, der kann sich den Pizza-Lieferdien­st sparen. Eine Variante wäre auch eine Zwiebel-Torte aus Ligurien, bei der zwischen zwei Lagen Hefeteig eine Frischkäse-ZwiebelMis­chung gelegt wird. Schmeckt wunderbar, auch ohne Speck.

Flammkuche­n mit Speck und Zwiebeln

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FOTO: THINKSTOCK Bunte Vielfalt: Zwiebeln gibt es unterschie­dlichen Farben, Schärfen und Größen.

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