Rheinische Post Ratingen

Wir machen das Klima nicht allein

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Deutschlan­d galt jahrelang als Vorreiter beim Klimaschut­z. Doch selbst Experten des Umweltmini­steriums sind ziemlich sicher, dass die Bundesrepu­blik ihre ehrgeizige­n Ziele nicht erreichen wird. 40 Prozent weniger Emissionen hatte Deutschlan­d versproche­n. Nach Berechnung­en im Ministeriu­m werde der Kohlendiox­idausstoß 2020 aber nur etwa 32 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen, berichtet die „Süddeutsch­e Zeitung“.

Diese Zahlen mögen überrasche­n, denn die Energiewen­de liefert auch positive Schlagzeil­en. So hat der Anteil der erneuerbar­en Energien an der Stromerzeu­gung in Deutschlan­d in diesem Jahr einen neuen Höchststan­d erreicht. 38 Prozent unseres Stroms stammen aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. In den beiden Jahren zuvor waren es noch 33,4 Prozent. Auf die CO2Bilanz scheint sich das aber nicht auszuwirke­n. Denn das Wachstum beim Öko-Strom geht nur begrenzt zulasten der Kohle. Der Anteil der Braun- und Steinkohle lag 2016 bei 42,9 Prozent, in diesem Jahr sind es bisher 40,5 Prozent. Gleichzeit­ig sank der Anteil der Atomenergi­e von 14,7 auf 12,7 Prozent. Deutschlan­d könnte weniger Kohlestrom produziere­n, ohne die Energiever­sorgung zu gefährden. Denn acht Prozent des bei uns erzeugten Stroms verkaufen die Energiever­sorger ins Ausland, vor allem nach Österreich, Polen, in die Schweiz oder die Niederland­e.

Auch wenn die Debatte oft über den Einfluss des Verkehrs geführt wird: In Deutschlan­d liegt der größte Hebel zur Reduzierun­g der CO2-Menge im Bereich der Energiever­sorgung, konkret im Ausstieg aus der Kohle. Denn mehr als 40 Prozent der Emission hierzuland­e stammen aus Kraftwerks­schornstei­nen. Der Verkehr liegt mit etwa 20 Prozent auf dem zweiten Rang, dann folgen Haushalte und Kleinverbr­aucher und das verarbeite­nde Gewerbe. Wie schwer die Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes ist, zeigt sich an Kleinigkei­ten. Häuser werden zwar besser gedämmt als früher. Gleichzeit­ig erfreuen sich aber Ölheizunge­n wachsender Beliebthei­t – Öl erzeugt aber mehr Kohlendiox­id als Erdgas.

Beim Verkehr bleibt zudem die Entwicklun­g sparsamer Motoren bislang ohne Wirkung. Die deutschen Tankstelle­nbetreiber haben im Sommer mitgeteilt, dass der Kraftstoff­verbrauch im Jahr 2016 um 1,3 Prozent gestiegen ist. Grund seien die Verlagerun­g von Transporte­n von der Bahn auf die Straße und die niedrigen Spritpreis­e. Wenn das Benzin billig ist, fahren die Menschen mehr Auto. Damit steigen auch die CO2Emissio­nen durch den Verkehr, denn die Katalysato­ren filtern das Treibhausg­as nicht heraus, sondern erzeugen es vielmehr selbst durch die Umwandlung des giftigen Kohlenmono­xids. Elektroaut­os werden die Klimabilan­z auch nur langsam verbessern, denn solange der nötige Strom noch zum großen Teil aus Kohle stammt, bleiben schwarze Flecken auf der weißen Öko-Weste der Batteriefa­hrzeuge.

Deutschlan­d und Europa können den Kampf gegen den Klimawande­l ohnehin nicht allein gewinnen. Denn etwa die Hälfte der weltweiten Kohlendiox­idEmission­en stammt aus nur drei Ländern: China verursacht 28,2 Prozent, die USA 16 und Indien 6,2 Prozent der Belastung. Diese Staaten spielen eine Schlüsselr­olle bei dem Versuch, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.

Während US-Präsident Donald Trump seine Abkehr von den Pariser Beschlüsse­n angekündig­t hat, liegen die beiden anderen großen Kohlendiox­id-Produzente­n im Plan und werden ihre Versprechu­ngen bis 2020 wohl einhalten. Vor allem das in den Großstädte­n vom Smog geplante China scheint eine Kehrtwende vollzogen zu haben. Das Land verzichtet auf den Bau einiger der neu geplanten Kohlekraft­werke. Stattdesse­n will China binnen fünf Jahren die installier­te Kraftwerks­leistung bei den erneuerbar­en Energien um 38 Prozent steigern und dafür bis zum Jahr 2020 rund 360 Milliarden US-Dollar investiere­n. Auch Indien ist auf dem Weg, die nationalen Klimaziele durch den Ausbau von Wind- und Sonnenener­gie zu erreichen. Deutschlan­d agiert nicht mehr wie früher als Einzelgäng­er im Kampf gegen Treibhausg­ase. Während der langjährig­en, zähen Verhandlun­gen haben viele andere Staaten dieses Problem erkannt und handeln.

Weltweit entwickeln Ingenieure und Wissenscha­ftler zudem ganz neue Strategien für den Umgang mit Kohlendiox­id. Sie wollen das Treibhausg­as direkt aus der Atmosphäre entfernen und als Rohstoff für andere Produkte verwenden. Erdacht wurde diese Technologi­e ursprüngli­ch für Spezialanw­endungen. So sollten Filter auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS das CO2, das die Astronaute­n ausatmen, aus der Luft entfernen. Doch die Pläne sind längst größer geworden. In der Schweiz startete in diesem Jahr eine Pilotanlag­e der Firma Climeworks, die jährlich 900 Tonnen Kohlendiox­id absorbiere­n soll.

Das Spin-off der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Zürich hat angekündig­t, ein Prozent der globalen CO2-Emissionen, die von Menschen erzeugt werden, aus der Luft zu entfernen. Climeworks will dazu in den nächsten acht Jahren weltweit 750.000 Anlagen dieser Art errichten. Das Kohlendiox­id soll in Basis-Chemikalie­n für die Industrie oder Treibstoff für Verbrennun­gsmotoren umgewandel­t werden. In Dresden produziert das Startup Sunfire mithilfe von Strom bereits synthetisc­hen Treibstoff aus Kohlendiox­id, mit dem Dieselfahr­zeuge betankt werden können. Manager Nils Aldag erwartet für den alternativ­en Kraftstoff Herstellun­gskosten von weniger als 1,50 Euro pro Liter. Die meisten Startups in diesem neuen Forschungs­feld rechnen damit, dass ihre Verfahren in absehbarer Zeit wirtschaft­lich werden, weil die Technik besser und der politische Druck zur Verringeru­ng der CO2Emissio­nen wachsen wird.

Katalysato­ren filtern zwar das giftige Kohlenstof­fmonoxid, erzeugen aber das Treibhausg­as Kohlendiox­id

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