Rheinische Post Ratingen

„Alles am Kopf ist immer heikel“

Gehirnersc­hütterung, Platzwunde, Nasenbeinb­ruch – Borussias Mittelfeld­mann ist sensibilis­iert, aber verweist auf den Zufall.

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Christoph Kramer kann morgen gegen Werder Bremen befreit aufspielen: Die Gesichtsma­ske, die er wegen eines Nasenbeinb­ruchs tragen musste, ist weg. Über sein fast schon legendäres Pech und Borussias Suche nach dem „Flow“hat er mit Jannik Sorgatz gesprochen.

Zwei Wochen lang hatten Sie die Maske im Training und im Spiel an. Wie groß war die Beeinträch­tigung?

KRAMER Es war auf jeden Fall eine, das hätte ich nicht gedacht. Die Maske drückt ein wenig auf die Nebenhöhle­n und vor allem beim peripheren Sehen gibt es Probleme. Man muss immer so runterguck­en, das behindert einen schon, wenn man den Ball schnell von A nach B spielen will. Einigermaß­en habe ich es mit Maske hinbekomme­n, bin aber froh, dass sie jetzt weg ist.

Diesmal war es ein Nasenbeinb­ruch. Der fehlte noch in Ihrer Kopfverlet­zungs-Biografie.

KRAMER Es war zum Glück ein gerader Bruch, der nicht operiert werden musste. Alles ist glatt verheilt.

Die Verletzung haben Sie erlitten, nachdem Sie drei Tage vorher den Fuß von Leipzigs Naby Keita ins Gesicht bekommen hatten.

KRAMER Da denkt man sich schon: Boah, das muss jetzt echt nicht sein! Aber es bringt ja nichts, damit zu hadern. Es war schon ein ordentlich­er Treffer. Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass mit der Nase etwas nicht stimmt. Da hat der Doc einmal gefühlt und sofort gemerkt, dass sie wohl gebrochen ist.

Mediziner kritisiere­n oft, dass Fußballer bei Kopfverlet­zungen nicht genug Vorsicht walten ließen. Nach dem Motto: Wenn mit den Beinen alles in Ordnung ist, läuft es schon.

KRAMER Ich bin da sehr, sehr sensibel. Nach solchen Kopftreffe­rn lasse ich mich immer durchcheck­en, beim Neurologen, beim HNO-Arzt. Das ist eine gefährlich­e Sache, bei der man aufpassen muss. Ich bin froh, dass ich bis auf zweimal ohne Gehirnersc­hütterunge­n ausgekomme­n bin. Zuletzt gegen Leipzig und Stuttgart war es jeweils keine, was ich mir auch schon gedacht hatte. Trotzdem lasse ich sowas abklären beim Arzt, das mache ich aber bei Rückenverl­etzungen oder so auch. Dann hat man Ruhe.

Waren Sie vor Ihrer inzwischen legendären Gehirnersc­hütterung im WM-Finale 2014 schon so sensibilis­iert für das Thema?

KRAMER Alles am Kopf oder in der Nähe ist immer heikel. Aber es ist nicht so, dass ich davor Angst habe und Zweikämpfe­n aus dem Weg gehe. Ich thematisie­re das auch nicht übermäßig. Vor zwei Wochen hatte ich eben mal Pech mit zwei Platzwunde­n, davor hatte ich mein ganzes Leben noch keine.

Aber es ist nun einmal so: Man googelt Ihren Namen und bekommt Bilder von Ihrem Knockout gegen Argentinie­n angezeigt. Oder ist das vor allem Folklore?

KRAMER Es war halt ein besonderes Spiel. Mario Götze hat 100 tolle Spiele gemacht, aber bei Google kommt sein Tor im WM-Finale. Ich hatte in 21 Jahren Fußball zwei Platzwunde­n, ein Schleudert­rauma und eine Gehirnersc­hütterung. Natürlich verbindet man das mit meinem Namen, aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Es war ein kleiner Bruch jetzt, deshalb musste ich die Maske tragen, das haben schon andere Fußballer vor mir gemacht.

Kein statistisc­her Zufall sind all die Trikots, die Sie zuletzt bei Instagram präsentier­t haben. Eines von Marcos Rojo mit der Nummer 16 war auch dabei – das ist der Argentinie­r, der Sie im WM-Finale in die Schulter von Ezequiel Garay geschubst hat.

KRAMER Neenee, das Trikot ist vom Freundscha­ftsspiel kurz danach, aber von Sergio Agüero. Da ist nur kein Name drauf, warum auch im- mer. Meins aus dem WM-Finale habe ich behalten.

Sie haben mal erzählt, dass Sie sehr an Geschichte interessie­rt sind. Dazu passt das Trikotsamm­eln.

KRAMER Ich finde es immer schön, solche Trophäen mitzunehme­n. Als Kind wollte ich immer alle Trikots haben und jetzt habe ich das Privileg, dass ich auch alle bekomme.

Wenn Sie alle ausbreiten, haben Sie Ihre gesamte Laufbahn vor Augen.

KRAMER Genau, das finde ich auch interessan­t. Welche aus der Regionalli­ga sind dabei, 2. Bundesliga, Bundesliga, Champions League, Nationalma­nnschaft. Das zeigt einem, dass man viel erlebt und viel geschwitzt hat in seiner Karriere, in den verschiede­nsten Ligen.

Mit wem wollen Sie morgen in Bremen tauschen?

KRAMER Ein Max-Kruse-Trikot habe ich schon, der ist ohnehin verletzt. Aber ich tausche auch nicht immer.

Sportlich macht Borussia nach sieben Spieltagen den Eindruck, als sei sie noch nicht richtig angekommen in der Saison.

KRAMER Das Ziel ist natürlich, in einen Flow zu kommen. Bremen ist eine heimstarke Mannschaft und hätte so Spiele wie gegen Schalke, wo sie auch viel Pech hatten, gewinnen müssen. Die stehen sicherlich mit dem Rücken zur Wand. Man darf bei aller Kritik an unseren Auftritten nicht vergessen, dass wir schon in Leipzig und Dortmund gespielt haben, da sind elf Punkte aus sieben Spielen okay bis gut. Mit den drei, die uns wegen der Niederlage gegen Frankfurt fehlen, wäre es sehr gut. Natürlich wollen wir in Bremen gewinnen, aber es wird niemanden überrasche­n, wenn ich sage, dass das in der Liga nicht so einfach ist.

So viele Bundesliga­spiele können mit einer Aktion kippen. Es heißt oft, das zeuge nicht von Qualität.

KRAMER Oder es ist gerade ein Qualitätsm­erkmal. Nehmen wir den spanischen Fußball, da sind immer dieselben vier, fünf Mannschaft­en oben. In der Bundesliga kämpfen viele Mannschaft­en um die europäisch­en Plätze, das kann sich schon sehen lassen. Im internatio­nalen Vergleich mag die Bundesliga jetzt zweimal schlecht gepunktet haben, ist in den Jahren davor aber in der Fünf-Jahres-Wertung geklettert. Der langfristi­ge Trend ist schon positiv.

Man könnte sagen, Borussia selbst kommt die Betonung kurzfristi­ger Trends ebenfalls nicht zugute.

KRAMER Das ist halt die berühmte Schnellleb­igkeit des Geschäfts, das lässt sich nicht ändern. Es geht von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel. Vieles wird schnell in Frage gestellt, da ist es wichtig, als Verein selbst ruhig zu bleiben. Und das sind wir hier bei Borussia.

Gelingt es denn wirklich, eine Art Glocke über die Mannschaft zu stülpen und nichts an sich heranzulas­sen?

KRAMER Natürlich kommt alles bei einem an. Es ist dann abhängig vom Typen, ob es einen belastet. Aber man sollte sich nichts zu Herzen nehmen, weil es immer eine brutale Momentaufn­ahme ist.

Momentan wird vor allem das spielerisc­he Niveau bei Borussia bemängelt. Sie haben es gesagt: Der Flow fehlt.

KRAMER Einen Flow kann man sich nicht einreden, den kann man auch nur bedingt antrainier­en. Die Leichtigke­it kommt brutal über die Ergebnisse, dadurch gewinnst du an Selbstvert­rauen.

 ??  ?? Borussias Mannschaft­sarzt stillt am 19. September die Blutung in Christoph Kramers Gesicht – Nasenbeinb­ruch. Vorsichtsh­alber wird er ausgewechs­elt.
Borussias Mannschaft­sarzt stillt am 19. September die Blutung in Christoph Kramers Gesicht – Nasenbeinb­ruch. Vorsichtsh­alber wird er ausgewechs­elt.
 ?? FOTOS: IMAGO ?? Nur drei Tage vor dem Nasenbeinb­ruch ist Kramer von Leipzigs Naby Keita mit dem Fuß im Gesicht getroffen worden – Platzwunde an der Oberlippe. Keita sah dafür die Rote Karte, Kramer konnte die Partie zu Ende spielen.
FOTOS: IMAGO Nur drei Tage vor dem Nasenbeinb­ruch ist Kramer von Leipzigs Naby Keita mit dem Fuß im Gesicht getroffen worden – Platzwunde an der Oberlippe. Keita sah dafür die Rote Karte, Kramer konnte die Partie zu Ende spielen.
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Im WM-Finale 2014 wird er vom Rasen begleitet – Gehirnersc­hütterung.

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