Rheinische Post Ratingen

Elvis und Hitler leben nun in Bielefeld

Das „Kom(m)ödchen“feierte mit seinem neuen Stück „Irgendwas mit Menschen“Premiere. Bruce Willis ist auch dabei.

- VON KLAS LIBUDA

Zuletzt halten sie dann doch noch eine Rede, und das Besondere und Unerwartet­e ist, dass sie fast ohne Pointen auskommen. Sie stehen einfach so zu viert am Bühnenrand und sprechen zum Premieren-Publikum, als sei das die Schülersch­aft bei der Abschlussf­eier, die Zukunft also, um die zwei Stunden gerungen wurde. Es geht um Vertrauen, um Respekt und Akzeptanz von Lebensentw­ürfen, und so endet dieser Dauerfeuer-Abend im Waffenstil­lstand.

„Irgendwas mit Menschen“heißt das neue Stück des „Kom(m)ödchen“-Ensembles, in dem vier Welten aufeinande­rprallen. Frank gehört zur neuen Rechten, Rainer seit den 80ern zur Linken, Katharina ist eine Glucke und Nils ein Träumer. Gemeinsam wollen sie eine Rede für die Abifeier ihrer Kinder schreiben, ihnen etwas mitgeben, und Rainer hat schon etwas vorbereite­t: „In Zeiten von Krieg, Elend und Armut“, legt er los, und Frank unterbrich­t ihn: „Was kommt noch? Tod? Der 1. FC Köln?“

Geschriebe­n haben dieses Stück wie den Vorgänger „Deutschlan­d gucken“Dietmar Jacobs, Christian Ehring und Martin Maier-Bode, und sie haben eine Gegenwarts­kunde entworfen, die Regisseur Hans Holzbecher in einer Klassenzim­mer-Kulisse auf die Bühne bringt. Es geht um Geschlecht­ergerechti­gkeit und Migrations­politik, um Subvention­en und den neuen Thermomix, um Verständni­s, zumeist aber um verhärtete Fronten.

Sie haben für das Stück ein unsichtbar­es Koordinate­nsystem angelegt, in das sie das Ensemble links und rechts der Y-Achse Standpunkt­e einzeichne­n lassen. So ergeben sich Konfliktli­nien: zwischen Selbstverw­irklichung und Optimie- rung, Vernunft und Verschwöru­ng, Solidaritä­t und Ellenbogen. Und weil das „Kom(m)ödchen“mit Vorliebe Dauerbrenn­er produziert, haben sie wieder Blöcke eingewoben, die sich aktualisie­ren oder austausche­n lassen. Sie unterbrech­en dann gewisserma­ßen das laufende Programm für eine Durchsage, und das ist diesmal so geschickt gemacht, dass man die Nahtstelle­n kaum bemerkt. Höhepunkt des ersten Teils des Abends ist, als Maike Kühl, Daniel Graf, Martin MaierBode und Heiko Seidel die Schultisch­e zusammenrü­cken und komplett aus ihren Rollen fallen, zur „Kultusmini­ster-Konferenzs­chal- tung“. Wie die Radiorepor­ter an Bundesliga-Spieltagen versuchen sie einander in ihrer Aufregung zu übertreffe­n. „Freistunde in Dortmund!“meldet Graf aus dem „bildungspo­litischen Abstiegska­mpf“.

Natürlich gehen sie hier und da auf Nummer sicher: Bildung, Digitalisi­erung, Adolf Hitler – das ist leichte Beute für treffsiche­re Pointen. Hitler lassen sie sogar in Lederhosen und Badelatsch­en auftreten, zusammen mit Elvis Presley. Man erfährt: Sie leben nun in Bielefeld. Anschließe­nd gibt es eine Lektion in Sachen Verschwöru­ngstheorie­n. Wissen ist der wahre Rock ‘n’ Roll, singt Elvis. Gesungen wird in die- sem Stück übrigens dreimal. Nie wird es peinlich.

Im zweiten Teil des Abends hat sich das Quartett dann gänzlich eingespiel­t, das Tempo wird erhöht, die Kaliber werden größer. Islamisten, Polizisten, Populisten nimmt sich das Ensemble vor.

Schon in „Deutschlan­d gucken“spielte Heiko Seidel einen Schnösel, nun, in „Irgendwas mit Menschen“, dreht er als Autohausbe­sitzer Frank zuweilen völlig frei. Er ist der König von Düsseldorf, der mit den härtesten Punchlines, mit der größten Klappe. Die Rolle sitzt. Einmal rattert der Quertreibe­r das gesamte neurechte Vokabular runter, bis dem Kabarett-Publikum mulmig wird: Umvolkung, Lügenpress­e, Merkel, Merkel, Merkel. Bis ihm der Kopf qualmt – nicht der einzige Spezialeff­ekt in diesem Stück. „Kurzschlus­s in den Grundeinst­ellungen“, stellen die anderen fest – wenn das mal so einfach wäre.

Zumeist aber ist das ein kluger Abend über unsere Wirklichke­it, ganz selten wird es zotig wie in den Niederunge­n des Boulevards, nur manchmal wird’s belehrend wie beim Besserwiss­er-Kabarett. Einschübe sind geschickt verzahnt, und ab und an spricht die Synchronst­imme von Bruce Willis gottgleich Altkluges aus dem Off. Und kurz bevor man fast vergessen hat, dass es doch um die Abi-Rede geht, findet das spielfreud­ige Ensemble zurück und zuletzt auch zusammen. Zumindest für den Moment.

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FOTO: ANDREAS BRETZ „Kom(m)ödchen“-Ensemble bei der „Kultusmini­ster-Konferenzs­chaltung“: Maike Kühl, Martin Maier-Bode, Daniel Graf und Heiko Seidel (v.l.).

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