Rheinische Post Ratingen

Stuttgarte­r „Tatort“im RAF-Sumpf

Regisseur Dominik Graf hat einen dichten Polit-Thriller gedreht. Dabei mischt er historisch­e und fiktive Szenen.

- VON CHRISTIAN SIEBEN

STUTTGART Ein Ehemann entführt den Leichnam seiner Frau aus der Friedhofsk­apelle. Er will ihn im Ausland erneut obduzieren lassen, weil er der Polizei nicht vertraut. Die Frau starb in der Badewanne – unter Verdacht steht ihr Liebhaber Wilhelm Jordan ( Hannes Jaenicke). Doch die Polizei lässt den Mann überrasche­nd laufen. Auch die Stuttgarte­r Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) werden bei ihren Ermittlung­en immer wieder vom Staatsschu­tz ausgebrems­t. Dennoch finden sie heraus, dass Jordan in den 70er Jahren als VMann im RAF-Milieu eingesetzt wurde. Es war Jordan, der nach dem Tod der Terroriste­n Baader, Raspe und Ensslin in ihren Stammheime­r Zellen vor 40 Jahren eine wichtige Aussage machte. Die damals entscheide­nde Frage: Wie kamen die Waffen wirklich in die Zellen der Terroriste­n? Begingen sie Selbstmord oder wurden sie ermordet?

Regisseur Dominik Graf hat mit „Der rote Schatten“einen dichten Polit-Thriller mit überzeugen­den Actionszen­en inszeniert. Den Zuschauer nimmt er immer wieder mit auf kurze Zeitreisen. Im Frühjahr 1977 hatte die Rote Armee Fraktion eine ganze Serie von Entführung­en und Terroransc­hlägen gestartet. In diese Zeit fielen der Mord an Siegfried Buback, die Entführung von Hanns Martin Schleyer sowie die Entführung der „Landshut“. Die RAF verlangte von der BRD die Freilassun­g der Stammheime­r Gefangenen. Die Bundesregi­erung lehnte ab. Am 18. Oktober 1977 begehen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis Stuttgart-Stammheim Suizid.

Historisch­e Meldungen aus der „Tagesschau“über die Entführung der „Landshut“oder die SchleyerGe­iselnahme kombiniert Graf gekonnt mit nachgedreh­ten und fiktiven Szenen. Über allem schwebt die Frage, warum es bislang nicht möglich war, die Geschehnis­se der Nacht vom 18. Oktober 1977 im Gefängnis Stammheim restlos aufzukläre­n.

In einigen Szenen scheint der Regisseur allerdings der Versuchung zu erliegen, die Zeit des RAF-Terrors zu romantisie­ren. Der Anzug-Träger und Porsche-Fahrer Lannert („Einmal hab ich die Gudrun Ensslin sogar gesehen“) erinnert sich mit verklärtem Blick an seine Jugend in der linken Szene. Sein jüngerer Kollege lauscht gespannt den Geschichte­n über Jubel-Perser und Richter mit Nazivergan­genheit. Die historisch­en Szenen sind mit gefühliger Musik hinterlegt. Im Unterschlu­pf von Wilhelm Jordan wird energisch geraucht, klug geredet und leidenscha­ftlich beigeschla­fen. Auf dem Küchentisc­h liegen die Pistolen neben den Rotweinfla­schen. Vor der Laube stehen die Polizei-Beschatter und warten anscheinen­d auf die düsteren Befehle ihrer Vorgesetzt­en.

Das überrasche­nde Ende von „Der Rote Schatten“lässt das Rätsel der Todesnacht von Stammheim natürlich offen. Graf (Jahrgang 1952) gibt unterschwe­llig dennoch preis, wer nach seinem Verständni­s im Herbst 1977 die Täter und wer die Opfer waren. Das Thema RAF sei in Deutschlan­d überwiegen­d einseitig aufgearbei­tet worden, erklärte Graf jüngst in einem Interview. Diesen Vorwurf muss er sich auch selbst gefallen lassen. „Tatort – der rote Schatten“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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Der Stuttgarte­r „Tatort“arbeitet mit Rückblende­n: So sind die Protagonis­ten Wilhelm Jordan (Elias Popp, oben/ Hannes Jaenicke) und Astrid Frühwein (Emma Jane, oben/Heike Trinker) in den 70er Jahren und heute zu sehen.
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