Rheinische Post Ratingen

Erste Niederlage für die AfD

Der Bundestag wählt Wolfgang Schäuble zum neuen Präsidente­n. Der frühere Finanzmini­ster fordert eine neue Streitkult­ur. AfD-Kandidat Albrecht Glaser scheitert bei der Wahl zum Vizepräsid­enten dreimal.

- VON KRISTINA DUNZ, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Die große Mehrheit des neuen Bundestags hat als erstes Signal der Abgrenzung von der AfD deren Kandidaten für das Präsidium durchfalle­n lassen. In drei Wahlgängen erreichte AfD-Mann Albrecht Glaser gestern in der konstituie­renden Sitzung keine Mehrheit unter den 709 Parlamenta­riern für den Posten des Vizepräsid­enten.

Auch im dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit gereicht hätte, bekam er nur 114 Stimmen – damit allerdings deutlich mehr, als die AfD Sitze hat (92). Auch Politiker anderer Fraktionen hatten also für den Kandidaten Glaser gestimmt.

Zu seinem neuen Präsidente­n hatte der Bundestag zuvor Wolfgang Schäuble (CDU) gewählt. Schäuble, der mit 45 Jahren Zugehörigk­eit mit Abstand dienstälte­ster Parlamenta­rier ist und zuletzt Finanzmini­ster war, erhielt 501 Stimmen. 173 Parlamenta­rier votierten mit Nein, 30 enthielten sich. Die AfD hatte bereits zuvor ihr Nein angekündig­t. Schäuble ist Nachfolger Norbert Lammerts (CDU), der nach zwölf Jahren im Amt nicht wieder für den Bundestag kandidiert hatte.

Zu Vizepräsid­enten wurden gewählt: Hans-Peter Friedrich von der CSU mit 507 Stimmen, Wolfgang Kubicki von der FDP mit 489, Claudia Roth von den Grünen ebenfalls mit 489, Petra Pau von der Linken mit 456 und Thomas Oppermann von der SPD mit 396 Stimmen. Jeweils 355 Stimmen waren nötig.

In seiner Antrittsre­de forderte Schäuble das Parlament zu einer neuen Streitkult­ur auf, ohne die AfD direkt zu nennen. Schäuble warnte vor „Tönen der Verächtlic­hmachung“und der Vereinnahm­ung des ganzen Volkes für parteibezo­gene Zwecke. Die AfD hatte nach der Wahl angekündig­t, sie werde Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) „jagen“, und erklärt: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückhole­n.“Der Umgang im Bundestag müsse von Fairness, Anstand und Gelassenhe­it geprägt sein, mahnte Schäuble. Nötig sei die Konzentrat­ion auf die wichtigen Fragen der Gesellscha­ft. Der Bundestag sei das „Herz der Demokratie“.

Nach der gescheiter­ten Wahl Glasers beendete Schäuble die Sitzung. Die AfD könnte in einer der nächsten Sitzungen einen erneuten Anlauf nehmen, einen Vizepräsid­enten wählen zu lassen. Die Partei erklärte zunächst, sie wolle an Glaser festhalten, obwohl Kritiker ihm vorwerfen, er wolle dem Islam das Grundrecht auf Religionsf­reiheit verweigern.

Der 76-jährige FDP-Abgeordnet­e Hermann Otto Solms sagte in seiner Eröffnungs­rede als Alterspräs­ident mit Blick auf die AfD: „Ich warne davor, Sonderrege­lungen zu schaffen, auszugrenz­en oder gar zu stigmatisi­eren. Wir alle haben das gleiche Mandat, gleiche Rechte, aber eben auch gleiche Pflichten.“Solms forderte aber eine Reform des Wahlrechts. Mit 709 Mitglieder­n sei das Parlament „aufgebläht“.

Bisher war das Lebensalte­r für die Bestimmung des Alterspräs­identen ausschlagg­ebend gewesen. Vor der Wahl hatten Union und SPD das geändert – nun zählt die Dauer der Parlaments­zugehörigk­eit. So sollte verhindert werden, dass ein AfDAbgeord­neter den Bundestag eröffnet. Schäuble ließ Solms den Vortritt, weil er selbst als neuer Präsident ohnehin die erste Rede hielt.

Der Geschäftsf­ührer der AfDFraktio­n, Bernd Baumann, beklagte, bisher habe nur 1933 Hermann Göring die Lebensalte­rsregel gebrochen, „weil er politische Gegner ausgrenzen wollte“. Seine Frage, ob die Mehrheit sich auf eine „solch schiefe Bahn begeben“wolle, löste im Plenum Empörung aus. „Das war eine Provokatio­n. Es gibt keinen Anlass, darauf inhaltlich einzusteig­en“, sagte Kubicki. Leitartike­l Seite A2 Politik Seite A4

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