Rheinische Post Ratingen

Neubau ist nicht die einzige Option

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Zu den Lieblingsb­eschäftigu­ngen von Politikern gehören Einweihung­en. Bei kaum einer anderen Gelegenhei­t können sie den Erfolg ihres Wirkens so bürgernah darstellen wie beim symbolisch­en Durchschne­iden des Eröffnungs­bandes vor Kindergärt­en, Straßen oder Konzertsäl­en.

Die entspreche­nden Bilder erwecken den Eindruck, als ginge es überall im Land voran. Aber die Bilder sind Nebelkerze­n. In Wahrheit fehlt es allerorten an funktionst­üchtigen Schulgebäu­den, Brücken, Schienen und sonstiger Infrastruk­tur. Die Kommunen, die mehr als die Hälfte der öffentlich­en Investions­kosten tragen, schieben einen Investitio­nsstau in mittlerer zweistelli­ger Milliarden­höhe vor sich her. Allein die Krankenhäu­ser in NRW beklagen eine Investitio­nslücke von 12,8 Milliarden Euro. Mindestens 284 NRW-Brücken wurden so vernachläs­sigt, dass sie durch Neubauten ersetzt werden müssen.

Inzwischen steuert die Politik mit Rekordausg­aben gegen. Aber das Geld reicht hinten und vorne nicht, um die seit den 90er Jahren fast flächendec­kend vernachläs­sigte Infra-

Das Land braucht noch Jahrzehnte für die Sanierung der maroden Infrastruk­tur. Bis dahin muss das Bestehende besser genutzt werden. Das ist nicht sexy, aber notwendig.

struktur zu sanieren. Selbst wenn genug Geld da wäre, würde der Sanierungs­prozess trotzdem Jahrzehnte dauern.

Deshalb muss die Politik eine neue Tugend entwickeln: die effiziente­re Nutzung des Bestehende­n. Die Wohnungswi­rtschaft macht es vor: Sie entwickelt gerade Anreizsyst­eme, um Senioren in zu groß gewordenen Wohnungen für den Umzug in kleinere zu belohnen. So entsteht neuer Platz für Familien. Die Krankenhäu­ser sollten sich zusammensc­hließen und Schwerpunk­te untereinan­der aufteilen: Nicht jedes Haus muss das komplette Spektrum von Onkologie bis Transplant­ation vorhalten. Die Straßen sind ausgelaste­t, aber die Autos nicht. Deshalb müssen Carsharing-Angebote und Pendlergem­einschafte­n stärker gefördert werden. Die flächendec­kende Verbreitun­g von Smartphone­s mit Ortungsfun­ktion produziert auch genug Daten für bessere Verkehrsle­itsysteme. Unternehme­n, die den Arbeitsbeg­inn auf Zeitpunkte außerhalb der Rushhour verlegen, sollten belohnt werden.

Projekte dieser Art lassen sich zwar nicht so gut fotografie­ren wie das Durchschne­iden eines Eröffnungs­bandes. Aber vielleicht würde ja eine Art Politiker-Preis helfen, der Ideen zur optimierte­n Nutzung der Infrastruk­tur belohnt. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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