Rheinische Post Ratingen

Türkei: Hoffnung für inhaftiert­en Deutschen

Heute startet der Prozess gegen den Menschenre­chtler Peter Steudtner. Der Fall Yücel kommt nicht voran.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ANKARA In den Fällen der inhaftiert­en Deutschen in der Türkei kommen die türkischen Behörden immer mehr in Zugzwang. Acht Monate nach der Festnahme des „Welt“Journalist­en Deniz Yücel musste sich Ankara bis gestern um 23.59 Uhr vor dem Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshof zu dem Fall äußern. Das europäisch­e Gericht hatte der türkischen Regierung für ihre Stellungna­hme diese Frist gesetzt. Ankara musste sich demnach sowohl zur Verhaftung des Journalist­en äußern als auch zu der Frage, ob Yücel ein politische­r Häftling sei oder nicht. „Wir erwarten, dass das (Straßburge­r) Gericht im Fall von Deniz Yücel ein Grundsatzu­rteil über den Journalism­us in der Türkei fällt“, sagte Yücels Anwalt Veysel Ok. „Wir denken, dass das auf einem gu- ten Weg ist.“Bis zum Redaktions­schluss dieser Ausgabe gab es vonseiten der türkischen Regierung keine Reaktion.

Wann mit einer Anklage der türkischen Staatsanwa­ltschaft gegen Yücel zu rechnen sei, wisse die Verteidigu­ng bisher nicht, sagte Ok. Zu ermitteln gebe es schon lange nichts mehr: Weil die Vorwürfe sich auf Yücels journalist­ische Arbeit gründen, lägen alle Beweise ohnehin längst vor. Die einzige Erklärung für das Ausbleiben der Anklage sei, dass Yücel mit der langen Untersuchu­ngshaft bestraft werden solle, bevor er überhaupt vor Gericht komme, sagte der Anwalt. „Es ist eine Strafmaßna­hme, jemanden im Gefängnis zu halten, ohne eine Anklage vorzulegen.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel traf sich gestern mit Yücels Ehefrau, Dilek Mayatürk-Yücel, am Rande der konstituie­renden Sitzung des Bundestage­s in Berlin, um über Yücels Situation in türkischer Haft zu sprechen.

Anders als bei Yücel liegt gegen den im Juli verhaftete­n deutschen Menschenre­chtler Peter Steudtner seit gut zwei Wochen eine Anklagesch­rift vor. Heute beginnt der Strafproze­ss gegen ihn und andere Beschuldig­te, darunter Vertreter von Amnesty Internatio­nal. Die Bundesregi­erung hofft auf eine rasche Freilassun­g des 45-Jährigen. Von den insgesamt elf Angeklagte­n, darunter Idil Eser, die Türkei-Chefin von Amnesty Internatio­nal, sitzen acht in Untersuchu­ngshaft. Ihnen drohen jeweils fünf bis zehn Jahre Haft.

Die Staatsanwa­ltschaft hält Steudtner und die anderen Beschuldig­ten für staatsfein­dliche Verschwöre­r. In der teils absurd anmutenden Anklagesch­rift wird ihnen vorgeworfe­n, bei einem Workshop auf der Insel Büyükada Anfang Juli für das Netzwerk des islamische­n Predigers Fethullah Gülen intrigiert zu haben und gleichzeit­ig die kurdische Terrorgrup­pe PKK und die linksextre­me Organisati­on DHKP-C unterstütz­t zu haben. Als Beweismitt­el für die abenteuerl­ichen Thesen führt die Staatsanwa­ltschaft unter anderem eine Karte aus einem Sprachenat­las des Nahen Ostens an, die zeigen soll, dass die Teilnehmer des Seminars die Aufspaltun­g der Türkei anstrebten.

Anders als bei vielen anderen Verfahren gegen angebliche Staatsfein­de gibt es im Fall Steudtner die Hoffnung auf eine baldige Freilassun­g. Die Verhandlun­g der ebenfalls inhaftiert­en deutschen Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu Çorlu wird am 18. Dezember in Istanbul fortgesetz­t. Deniz Yücel dagegen bleibt ohne Prozess in Haft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany