Rheinische Post Ratingen

Industrie zieht beim Lohn davon

Eine Auswertung des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Seit dem Jahr 2000 sind die Tariflöhne in der Metall- und Elektroind­ustrie um 51 Prozent gestiegen – so stark wie in keiner anderen Branche.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Eine Tarifverha­ndlung in der Metall- und Elektroind­ustrie hat ihre eigene, extrem komplizier­te Choreograp­hie. Zunächst geben die Tarifkommi­ssionen der Bezirke ihre Forderungs­empfehlung ab, dann der Bundesvors­tand in Frankfurt, dann wird in den Betrieben beraten und zum Schluss äußern sich noch einmal die Bezirke und der Vorstand. Erst dann steht eine Lohnforder­ung fest. Seit gestern ist es soweit: Neben einer vorübergeh­enden Absenkung der Arbeitszei­t auf 28 Stunden pro Woche – in einigen speziell umrissenen Fällen bei einem Teilausgle­ich des Lohns – verlangt die Gewerkscha­ft sechs Prozent mehr Entgelt.

Die Arbeitgebe­r hatten diese sich abzeichnen­de Forderung schon zurückgewi­esen. Interessan­t war die Begründung. So hatte der Präsident von Metall NRW, Arndt Kirchhoff, im Gespräch mit unserer Redaktion gewarnt: „Wir müssen aufpassen, dass das gegenüber anderen Branchen nicht aus dem Ruder läuft. Die Lohnunters­chiede sind zum Teil immens.“

Neues Futter für diese Einschätzu­ng liefert das arbeitgebe­rnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW). In einer Kurzstudie, die unserer Redaktion vorab vorliegt, kommen die Autoren rund um den Tarifexper­ten Hagen Lesch zu dem Schluss, dass die Metall- und Elektroind­ustrie seit der Jahrtausen­dwende den anderen Branchen davongeeil­t ist. Nimmt man das Tarifnivea­u des Jahres 2000 zur Grundlage, wird deutlich, dass seitdem die tarifliche­n Stundenlöh­ne in der Branche um insgesamt 51 Prozent gestiegen sind. Zum Ver- 150 140 130 120 110 100 Tariflöhne je Stunde, Jahr 2000 = 100 Punkte 2000 2002 2004 2006 gleich: Im Staatsdien­st stiegen die Löhne nur um 35 Prozent.

Wie die Autoren ausführen, sorgt eine solche Tarifpolit­ik für wachsende Unterschie­de zwischen den Berufen, die eine Arbeit an Maschinen vorsehen, und denjenigen, die eine Arbeit am Menschen verlangen. So verdiente ein ausgebilde­ter Maschinenb­auer in Vollzeit 2016 durchschni­ttlich 3999 Euro brutto, ein ausgebilde­ter Autobauer sogar 4795 Euro brutto. Dagegen erhielt eine ausgebilde­te Kindergart­enerzieher­in nur 3235 Euro und ein ausgebilde­ter Mitarbeite­r im Krankenhau­s 2008 2010 2012 2014 2016 3381 Euro. Nach Angabe der Autoren birgt diese Entwicklun­g zwei Gefahren. Zum einen könnten durch den wachsenden Lohndruck gut bezahlte Industriea­rbeitsplät­ze ins günstigere Ausland verlagert werden.

Zum anderen warnen sie, dass die wachsende Lohnkluft die sozialen Berufe für Arbeitnehm­er tendenziel­l uninteress­anter machten. Um überhaupt noch an gutes Personal zu gelangen, müssten Bereiche wie der öffentlich­e Dienst bei der Lohnentwic­klung nachziehen. „Dies ist aber schwierig, da im Dienste-Sektor geringere Produktivi­tätssteige­rungen Metall- und Elektroind­ustrie Chemische Industrie Papierindu­strie Gastgewerb­e Einzelhand­el Öffentlich­er Dienst generiert werden als in der Industrie“, schreiben die IW-Forscher. Dadurch sei der Verteilung­sspielraum in den meisten Dienstleis­tungssekto­ren für Lohnerhöhu­ngen kleiner als im Verarbeite­nden Gewerbe.

Das hat Folgen: „Lohnsteige­rungen, die über den Produktivi­tätsfortsc­hritt hinausgehe­n, müssten über Preiserhöh­ungen finanziert werden. Steigende Gebühren oder höhere Beiträge zu Pflege- und Krankenver­sicherung seien die Folge. „Diese Preiserhöh­ungen schwächen die Kaufkraft aller Arbeitnehm­er“, heißt es in der Studie.

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QUELLE: IWD | FOTO: DPA | GRAFIK: RP

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