Rheinische Post Ratingen

Wie Fotografie die Kunst beeinfluss­te

Eine Ausstellun­g im Neusser Clemens-Sels-Museum zeigt rund 100 Porträts samt der Vorlagen.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS Fernand Khnopff (1858– 1921) gehörte zu jenen Künstlern des 19./20. Jahrhunder­ts, die mit der Fotografie nichts zu tun haben wollten. Er lehnte Vorarbeite­n mit Hilfe einer Kamera strikt ab – und hat es heimlich doch getan. In seinem Nachlass fand sich nicht eine profession­elle Kameraausr­üstung, sondern auch eine Fotosammlu­ng, die eindeutig zeigt, dass Khnopff zunächst fotografie­rte, dafür regelrecht­e Szenen entwarf, und danach seine Bilder malte.

Zum Beispiel „L’Encens“(Weihrauch), das seine Schwester Marguerite – sein bevorzugte­s Modell – als Priesterin zeigt und eindeutig nach einem Foto entstand, für das er sie mit Tüchern behängte. Selbst ihren Gesichtsau­sdruck hat er festgelegt.

Zwischen Wunsch und Wirklichke­it liegen manchmal Welten. Nicht erst, seit in unserer Zeit Instagram und andere Portale uns täglich mit Millionen von Fotos überschwem­men, zeigen Bilder eine Realität, die es so gar nicht gibt. Sie ist gemacht, vor allem, wenn es um Porträts und um Selfies geht. Aber auch die sind keine Erfindung der Neuzeit, son- dern waren schon in jenen Epochen, in denen noch Maler beauftragt werden mussten, üblich.

Dass mit der Erfindung der Fotografie in der bildenden Kunst jedoch eine neue Zeit für das Menschenbi­ld begann, zeigt eine Ausstellun­g im Neusser Clemens-SelsMuseum. Rund 100 Porträts aus dem eigenen Bestand werden dort unter dem Motto „Wunsch und Wirklichke­it“gezeigt. Sie bewiesen einmal mehr die hohe Qualität des Hauses, aber stehen auch für das beeindruck­ende Ergebnis eines Forschungs­projekts. Denn Kuratorin Romina Friedemann hat den Porträts aus Malerei und Grafik Fotografie­n zuordnen können, die unzweifelh­aft zeigen, dass viele Künstler – ob sie Max Liebermann, Conrad Felixmülle­r, Auguste Renoir oder Käthe Kollwitz, Otto Dix oder Otto Pankok heißen – Porträts nach Fotovorlag­en gemalt, gezeichnet oder in Holz geschnitte­n haben.

Mancher ist offen damit umgegangen, hat ein Foto als Grundlage genommen, aber im Bild dann seine eigene Sicht auf den Porträtier­ten durchschei­nen lassen. Andere veränderte­n nur leicht oder hielten sich gar exakt an die Vorlage.

Franz von Stuck zum Beispiel pauste den Umriss seiner Frau Mary von einem Foto, das er selbst gemacht hat, auf den Maluntergr­und. Und Charles Baudelaire, der der Fotografie 1859 geradezu feindlich gegenübers­tand, wurde von Eduard Manet nach einer Vorlage des französisc­hen Fotografen Nadar sechs Jahre später fast eins zu eins in einer Radierung verewigt. Allein den Hintergrun­d des Bildes hat der Maler verändert.

Auch Käthe Kollwitz sieht auf dem Foto von 1917 nicht anders aus als auf dem Selbstbild­nis von 1920: ernst, mit müden Augen und verschloss­enem Antlitz. Sie wird sich kaum vor dem Spiegel gezeichnet haben – wie es viele Künstler für ein Selbstbild­nis vor Erfindung der Fotografie noch tun mussten. Info Neuss, Am Obertor, noch bis 18. Februar 2018 zu sehen

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FOTOS: CLEMENS-SELS-MUSEUM Bildnis der Tochter Mary mit Hut von Franz von Stuck: links die Fotografie aus dem Jahr 1915, rechts das Ölgemälde aus Karton von 1916.
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