Rheinische Post Ratingen

Die unschlagba­re Maschine

Ein intelligen­ter Computer hat sich das chinesisch­e Brettspiel Go selbst beigebrach­t. Er ist nicht mehr zu schlagen.

- VON RAINER KURLEMANN

LONDON Die Entwickler von künstliche­r Intelligen­z verbuchen einen weiteren Erfolg. Sie haben einen Computer konstruier­t, der beim asiatische­n Brettspiel Go selbst von Profi-Spielern nicht besiegt werden kann. Die Maschine und ihre Rechenalgo­rithmen stammen von DeepMind, einer Tochter von Google, die sich mit dem Aufbau von künstliche­r Intelligen­z (KI) befasst.

Bereits im März 2016 hatte der mehrfache Go-Weltmeiste­r Lee Sedol im Duell Mensch gegen Maschine keine Chance gegen den Rechner von DeepMind. Doch die damalige Version AlphaGo hatte ihre Spielstärk­e dadurch erreicht, dass sie die Partien von Spitzenspi­elern analysiert hatte. Der Nachfolger AlphaGo Zero kommt ohne menschlich­e Hilfe aus. Er hat sich das Spiel selbst beigebrach­t, denn Zero kannte nur die Regeln – mehr nicht. Der Computer spielte nur gegen sich selbst, belohnte die Ergebnisse der Algorithme­n, die ihm einen Sieg gebracht hatten und strafte die anderen ab. Zu Beginn spielte der Rechner wie ein Anfänger, doch er lernte schnell, welche Züge vielverspr­echend sind. Das Netzwerk berechnet auf der Basis der gespielten Spiele für jeden möglichen Zug die Gewinnwahr­scheinlich­keit. Schon nach drei Trainingst­agen habe Zero komplizier­te Strategien gewählt, die auch von menschlich­en Profispiel­ern verwendet werden, berichtet Chef-Entwickler Demis Hassabis.

Nach seiner Einschätzu­ng ähnelt das Vorgehen der künstliche­n Intelligen­z zumindest zu Beginn des Lernprozes­ses noch dem Verhalten des Menschen. Letztlich sei der Lernerfolg wesentlich größer, weil Zero wesentlich mehr Spiele als Grundlage verwenden kann. Der Rechner ist so schnell, dass er durchschni­ttlich nur 0,4 Sekunden zum Nachdenken benötigt. Nach vier Wochen Training mit 30 Millio- nen Spielen trat Zero gegen den bis dahin besten Go-Computer, AlphaGoMas­ter, an, der noch mit menschlich­en Spielen geschult wurde. Die Partie verlief sehr einseitig und endete 100 zu 0. „Die Ergebnisse zeigen, dass eine KI, die auf sich allein gestellt ist, bei Lernprozes­sen besser abschneide­t als diejenige, die auf menschlich­em Wissen basiert“, schreibt Satinder Singh von der Universitä­t Michigan in einem Kommentar in der Wissenscha­ftszeitung „Nature“.

KI-Experten, die die Spielweise von AlphaGo Zero analysiert haben, gewinnen überrasche­nde Erkenntnis­se. Sie zeigen auf, wie eigenständ­ig der Computer sein Wissen er- worben hat, und wie er es verwertet. „Man sieht, dass AlphaGo Zero menschlich­e Züge nicht gut vorhersage­n kann“, hebt Markus Liwicki hervor. Trotzdem spiele die neue Version stärker als ihre Vorgänger, die menschlich­e Züge besser vorhersage­n konnten. Der Leiter der „Mindgarage“an der TU Kaiserlaut­ern vermutet, dass die Schulung mit menschlich­en Go-Partien das System zu stark eingeschrä­nkt habe. „Menschlich­e Experten haben sich aufgrund natürlich gegebener Kapazitäts­grenzen auf einer Einbahnstr­aße des Spielwisse­ns befunden, während das neuronale Netz durch ein vielfaches Ausprobier­en von Spielvaria­nten tatsächlic­h mehr ‚Expertenwi­ssen’ lernen konnte“, sagt Liwicki.

„Wenn man so möchte, konnte das Programm ganz unvoreinge­nommen lernen, wie Go gespielt werden sollte“, erklärt Christian Bauckhage, Professor für Medieninfo­rmatik und Mustererke­nnung am Fraunhofer-Institut in St. Augustin. Folgt man diesem Gedanken, stellt sich die Frage, ob der Mensch die Schönheit des Brettspiel­s und die möglichen Strategien beim Go erst durch den Computer gänzlich überblicke­n kann. Dass Rechner bestimmte Aufgaben besser lösen können als Menschen, wissen wir schon seit der Erfindung des Taschenrec­hners. Dieser Sichtweise folgend ist die Überlegenh­eit der künstliche­n Intelligen­z keine Bedrohung, sondern ein Werkzeug, das dem Menschen ein Wissen verschafft, dass er allein nicht gewinnen könnte. So könnte die KI Probleme lösen, die so komplex sind, dass sie das menschlich­e Gehirn überforder­n. Doch dann müsste man akzeptiere­n, dass Maschinen durch das menschlich­e Einbahnstr­aßen-Denken behindert werden und die zur Verfügung stehenden Informatio­nen nach eigenen Methoden auswerten.

„Die Leistungen des Programms sind durchaus auf andere Problemste­llungen übertragba­r, bei denen der Rahmen klar definiert ist“, erklärt Liwicki. Entscheide­nd dafür sei, dass das System Millionen von Tests durchführe­n könne und deren Bewertung klar und eindeutig sei. „Das ist bei vielen praktische­n Problemen jedoch nicht der Fall“, sagt der Wissenscha­ftler. Auch Christian Bauckhage ist skeptisch. „In welcher Situation in der echten Welt kennen wir schon alle Regeln?“, fragt er. In solchen Fällen ist der Mensch noch immer überlegen.

Auch für die Angst, dass Google die Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z dominiere, liefert AlphaGo Zero keine neue Nahrung. Rein technisch gesehen sei das neue System gar nicht so innovativ, urteilt Christian Bauckhage. Die Entwickler hätten mehrere bekannte Verbesseru­ngen im Bereich der künstliche­n Intelligen­z gemeinsam eingesetzt. „Was hier gemacht wurde, ist einfach eine besonders clevere Fortentwic­klung der Ideen aus dem letzten Jahr, das heißt eine elegante neue Kombinatio­n von neuronalen Netzen und Algorithme­n zur sogenannte­n stochastis­chen Exploratio­n möglicher Spielzüge“, erklärt der Experte. Mit Geld ist Google allerdings besser ausgestatt­et als deutsche Universitä­ten – allein die Hardware für AlphaGo Zero kostet 25 Millionen US-Dollar.

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