Rheinische Post Ratingen

Früher war mehr Zukunft

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Die Angst vor dem Terror ist hierzuland­e statistisc­h betrachtet übergroß, aber sie wird wohl weiter wachsen, der Scheitelpu­nkt der Angst-Welle ist noch lange nicht erreicht. Mit Macht bricht die echte Welt herein über unsere Insel der Seligen. In Form des Terrors einerseits, dazu aber kommt neuerdings noch etwas anderes. Beim bangen Blick nach Syrien und Nordkorea schleicht sich etwas ein, das uns völlig fremd geworden ist: die Kriegsangs­t.

Nach Jahrzehnte­n des Fortschrit­ts stellen sich wieder ganz grundsätzl­iche Fragen: danach, was Wahrheit ist und was Propaganda, Verschwöru­ngstheorie, Lüge – sowie eben nach Krieg und Frieden. Populisten profitiere­n davon, sie geben auf komplexe Fragen Antworten, die meist falsch, aber so verlockend einfach sind.

US-Präsident Barack Obama hatte in seinem Wahlkampf 2009 auf „Hope” (Hoffnung) gesetzt, Angela Merkels Botschaft zur Flüchtling­skrise war „Wir schaffen das”. Viele hielten das für Naivität, viele aber für inspiriere­nden Optimismus. Donald Trump sprach 2016 in seiner ersten Pressekonf­erenz wie nebenbei von einem „nuklearen Holocaust”. Zu Weihnachte­n erläuterte er auch, wie er diesen zu verhindern gedenke: Bis die Welt zur Besinnung komme, müssten die USA ihr eigenes Atomwaffen­arsenal „deutlich stärken und ausbauen”, sagte der US-Präsident.

Es werden wieder Sündenböck­e gesucht und gefunden. Längst gewonnen geglaubte Kämpfe gehen in die nächste Runde – um Gewaltente­ilung, Pressefrei­heit, Demokratie. Freund-FeindDenke­n und Fundamenta­lismus sind wieder en vogue. Aktuell googlen so viele Menschen „Dritter Weltkrieg“wie zuletzt bei den Terroransc­hlägen von Paris Ende 2015. Es ist, als wären die 60er Jahre wieder da. Auf die damalige Endzeitsti­mmung fanden Filmemache­r zwei Antworten: 1964 schuf Stanley Kubrick die schwarzhum­orige und groteske Atomkriegs-Satire „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben”. Das utopische Gegenstück hieß ab 1966 „Star Trek”, oder in Deutschlan­d: „Raumschiff Enterprise“. Die Frage, in welche dieser Richtungen wir steuern, schien längst beantworte­t.

Der pazifistis­che „Star Trek”-Schöpfer Gene Roddenberr­y dürfte spätestens da im Grabe rotiert haben. Zuvor war schon sein eigenes Erbe verwässert worden. Die Kino-Trilogie, mit der „Star Trek” zwischen 2009 und 2016 neu aufgelegt worden war, ist ein buntes Action-Spektakel. Vom humanistis­chen Kern der Idee fanden sich nur noch Spurenelem­ente. Die erste „Star Trek”-Serie um Captain Kirk und Mister Spock wäre vor einem halben Jahrhunder­t beinahe eine Totgeburt gewesen, weil zu wenig geschossen wurde und zu viel geredet. Auch die meisten Zuschauer waren von der Philosophi­ererei im All überrascht und überforder­t. Die Quoten waren schlecht – aber sie wurden mit jeder Wiederholu­ng besser. Die Nachfrage führte über die Jahrzehnte zu einem größeren Angebot: ein halbes Dutzend verschiede­ner „Star Trek”-Serien, dazu Kinofilme, Bücher, Comics. So wuchsen Generation­en heran mit Bildern einer Zukunft, die eben nicht Krieg verheißt wie bei „Dr. Seltsam” oder auch „Star Wars“, sondern Frieden, Forschung, Fortschrit­t.

Und in diese Richtung hat sich die Menschheit tatsächlic­h entwickelt, im Geiste von Kooperatio­n (UN, EU, Wikipedia) und friedliche­m Austausch (Welthandel, Internet) ging es in Richtung Gleichstel­lung, Abrüstung und Umweltfreu­ndlichkeit. Die Aufklärung stand kurz vor dem Sieg.

Heute aber zeigen unsere Errungensc­haften viel mehr als bloß Kratzer im Lack. In den sozialen Medien hat sich der Affekt als absoluter Herrscher etabliert. In aller Welt beginnen sich Menschen zu fürchten, dass es zumindest

„Star Trek“bot Generation­en eine Zukunft, in der Frieden, Forschung und Fortschrit­t herrschten

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