Rheinische Post Ratingen

Bunte Trümmerhau­fen-Koalition

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Diese Tage, in denen aus Deutschlan­d Jamaika wird, halten einige Köstlichke­iten bereit. Die SPD versucht sich gleichzeit­ig in geschäftsf­ührender Regierungs­verantwort­ung und blindwütig­em Opposition­sangriff. In der konstituie­renden Sitzung des 19. Bundestage­s wird hochpoliti­sch, wer wem wie die Hand schüttelt oder wen anschaut oder schneidet.

Was sich jetzt auf der offenen Bühne des Plenarsaal­s vor aller Augen abspielt, hat vor geraumer Zeit begonnen. Diese neue politische Landschaft, die sich da bildet und an deren Ende mutmaßlich dieses schräge Bündnis steht, ist als Modell vor etwa drei Jahren erschaffen worden. Es war die Zeit, als in der Union an die Stelle der Franz-Josef-StraußDokt­rin die Matthias-Jung-Doktrin trat. Bis zu dieser Zeit galt jener Satz des bayerische­n Berserkers, wonach es rechts von der Union keine demokratis­ch legitimier­te Kraft geben dürfe.

Matthias Jung, der Hausdemosk­op der CDU-Vorsitzend­en und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, verkehrt diesen Ansatz ins Gegenteil. Als die AfD am politische­n Horizont auftauchte, bezeichnet er sie als „Chance“der Union. Als Chance, das „Rechte“komplett dieser Partei

In Berlin bildet sich ein schräges Bündnis um die Union, die die rechten Schmuddelt­hemen der AfD überlassen will.

CHRISTOPH SCHWENNICK­E zu überlassen, damit die unappetitl­iche Konnotatio­n dieses Wort gleich mit, und stattdesse­n gezielt nach links auszulegen, über die Mitte hinaus, tief hinein in das politische Terrain der SPD. Um mit dieser Landnahme sicherzust­ellen, dass die SPD immer kleiner bleiben würde als die Union. Und um so die AfD zur Abraumhald­e des politische­n Igitt zu machen.

Die Mission ist erfüllt. Zwar ist die Union mit müden 32,9 Prozent bei der Bundestags­wahl durchs Ziel gegangen. Aber Prozentzah­len sind re- lativ, die Schwächung der SPD als einziger Konkurrenz­partei um das Kanzleramt ist (unter deren tatkräftig­er Mithilfe) geglückt, die Kollateral­schäden dieser Strategie (starke AfD, weitere Zersplitte­rung des Parteiensy­stems) lassen sich für die Union urbar machen: Einen Teil des bunten Trümmerhau­fens packt man zu einer seltsamen Koalition zusammen. Und die Igitts von der Unionsabra­umhalde AfD muss man dafür dann eben aushalten, auch ein Wolfgang Schäuble, wenn ihm Alexander Gauland mit einem Bückling beim Handschlag zur Wahl des Bundestags­präsidente­n gratuliert.

Das kann man alles so machen. Aber man muss dann auch die langfristi­gen Folgewirku­ngen akzeptiere­n. Und wenigstens ein bisschen fair bleiben. So ist zum Ersten klar, dass die 12,6 Prozent Wähler der AfD nicht allesamt als rechtsradi­kal abzuhaken sind. Dem ist nicht so. Denn: Wenn ich als Union aktiv den Raum zwischen NPD und mir preisgebe, dann ist nicht alles, was diesen Raum besetzt, automatisc­h NPD. Christoph Schwennick­e ist Chefredakt­eur des „Cicero“und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperatio­n. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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