Rheinische Post Ratingen

Unser Glück der Sterblichk­eit

Der Tod ist kein Skandal, sondern ein Geschenk: Denn auch aus dem Wissen um unsere eigene Endlichkei­t erwächst moralische­s Handeln.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Eigentlich sind das unsere populärste­n Feiertage: Allerheili­gen und gleich darauf Allerseele­n. Weil doch – so erschrecke­nd banal dies klingt – wir alle sterben werden und sterben müssen, garantiert. Und wir alle sind in der Familie und im Freundeskr­eis schon mit dem Tod konfrontie­rt worden oder haben uns vielleicht selbst im stillen Stündchen dazu schon befragt. Wobei der Tod eines anderen Menschen dann manchmal zur wichtigen Zäsur im eigenen Leben wird. Viele können darum die Worte des Schweizer Schriftste­llers Urs Widmer teilen: „Die meisten von uns machen eines Tages die Erfahrung, dass wir Menschen erst erwachsen werden, unheilbar erwachsen, wenn Vater und Mutter tot sind. Wenn niemand mehr vor uns geht; kein Lebender jedenfalls.“

Die Friedhöfe müssten also besonders heute und morgen voll der Gedenkentr­äger sein. Doch es bedarf keiner prophetisc­hen Gabe, um behaupten zu können, dass dies nicht so sein wird. Weil das Wetter Anfang November ja schon uselig ist und unbeständi­g, dazu der extrem günstige Brückentag mit dem Verspreche­n eines Kurzurlaub­s.

Da müssen Tod und Sterben zwangsläuf­ig zu kurz kommen. Daraus aber gleich ein Phänomen unserer Gesellscha­ft abzuleiten und ihr kulturpess­imistisch zu attestiere­n, sie sei in Sachen Lebensende sowohl sprach- als auch teilnahmsl­os geworden, wäre gleicherma­ßen wohlgefäll­ig wie auch unseriös.

Tod und Sterben sind keine Tabuthemen mehr in einer Gesellscha­ft, deren Markenzeic­hen gerade die vermeintli­che Tabulosigk­eit ist. Dass dennoch vom Tod nur wenig die Rede ist, mag auch daran liegen, dass unsere Sterblichk­eit zunehmend als eine Art Skandal empfunden wird. Dass wir alle sterblich sind, hat sich rumgesproc­hen. Doch so richtig können wir es doch nicht glauben oder uns vorstellen.

Es ist also nicht so sehr die Angst, die uns umtreibt. Zumal die eschatolog­ischen Gewaltexze­sse von Purgatoriu­m, Hölle und Fegefeuer zumeist als theologisc­he Relikte angesehen werden. Unsere Einstellun­g gegenüber dem Tod ist eher gekennzeic­hnet von einem fast ärgerliche­n Unverständ­nis. Wir sind kaum noch bereit, den Tod zu akzeptiere­n. Ein solcher verzweifel­ter Widerstand ist die Antwort darauf, dass wirklich nichts unverständ­licher ist als das Sterben und Sterbenmüs­sen. Für den letzten Akt unseres Lebens können wir keine Erfahrung sammeln.

Widerstand gegen den Tod zu leisten, ist nicht nur verzweifel­t sinnlos, sondern auch lächerlich. Abgesehen von den Bemühungen sogenannte­r Transhuman­isten, die ihr „Klassenzie­l Unsterblic­hkeit“mit Hilfe von Technik und Medizin irgendwann erreichen wollen, träumt die Mehrheit nicht vom ewigen Leben. Es gibt subtilere Haltungen, mit denen wir uns gegen Verfall und Unvollkomm­enheit doch insgeheim auflehnen. Dazu gehören dann bioethisch­e Überlegung­en, Therapien zuzulassen, die unsere Gene optimieren. Dazu zählt aber auch das Diagnose-Verfahren, mit denen Defekte von Embryonen im Mutterleib erkannt werden können. Jeder wünscht gesunde Kinder, keine Frage. Aber kaum jemand scheint noch bereit zu sein, Unvollkomm­enes anzunehmen. Genau diese Haltung bestimmt unser Bild vom Menschen, der jetzt verfügbar ist und zwangsläuf­ig zu einem Ding wird. Menschlich­es Leben ist dann nicht mehr etwas Gegebenes oder gar Geschenkte­s, sondern etwas Gemachtes, irgendwie Hergestell­tes. Der Versuch, Menschen am Lebensanfa­ng zu optimieren, kann nicht ohne Folgen für unser Verständni­s vom Lebensende sein. Mit der Maxi-

Für den letzten Akt unseres Lebens können wir keine Erfahrung sammeln

me von einem leistungsf­ähigen Leben muss der Tod zur Niederlage werden.

Dabei ist unsere Sterblichk­eit und menschlich­e Fehlbarkei­t ein Geschenk ans Leben. Erst mit der End- lichkeit wird unser Handeln nicht beliebig, weil unsere Taten nicht beliebig wiederholb­ar sind. Aus dieser Gewissheit heraus erwächst Verantwort­ung – für uns und unser Leben und für die, die nach uns kommen werden. Verantwort­liches, moralische­s Handeln ist auch der Endlichkei­t unseres Lebens verpflicht­et. Für den Theologen Johannes Grössl fördert unsere Gewissheit, einmal sterben zu müssen, unter anderem

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