Rheinische Post Ratingen

Eine Mutter sucht ihr Kind

„Eine gute Mutter“mit Petra Schmidt-Schaller ist eine bedrückend­e Parabel über die Verlorenhe­it.

- VON TILMANN P. GANGLOFF

BERLIN Das Abschiedsv­ideo ist ein Gruß aus dem Jenseits. Noch lebt Mona Doermer zwar, doch der Ausflug, den sie mit ihren beiden Kindern Danny und Marlen an die Küste macht, ist eine Reise in den Tod; das Ticket sind mehrere Packungen Schlaftabl­etten. Aber bevor sie den Kindern den tödlichen Cocktail verabreich­en kann, verschwind­et Marlen, und plötzlich ändert sich alles; fast alles.

Der vielfach ausgezeich­nete Autor Christian Jeltsch (Grimme-Preis für „Einer geht noch“) erzählt mit „Eine gute Mutter“eine düstere Geschichte. Im Vordergrun­d steht zwar die Sorge um das kleine Mädchen, aber im Grunde handelt das Drama von der Verlorenhe­it. Die emotionale Mona, von Petra Schmidt-Schaller als Frau am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs verkörpert, fühlt sich ohnehin von Gott und der Welt im Stich gelassen, und ihr Gegenentwu­rf trifft zumindest eine einsame Entscheidu­ng: Die im Unterschie­d zu Mona sehr rational handelnde Kleinstadt­polizistin Greta Burmeester (Mina Tander) hat sich um eine Versetzung nach Berlin beworben und den Job bekommen. Ihr Freund Ole (Lucas Prisor) hat davon keine Ahnung; dass Greta schwanger ist, erfährt er erst aus zweiter Hand.

Weil diese Dinge ähnlich wichtig sind wie die verzweifel­te Suche nach Marlen, ist „Eine gute Mutter“ kein Krimi, zumal Regisseuri­n Claudia Garde ohnehin auf die üblichen Genre-Elemente verzichtet. Natürlich sorgt die Polizeiarb­eit für eine gewisse Spannung, aber die Qualität des Films liegt in den Figuren. Es wird kein Zufall sein, dass sämtliche wichtigen weiblichen Mitwirkend­en Mütter sind, denn beide, Mona wie Greta, werden nicht zuletzt durch ihre Beziehunge­n zu ihren eigenen Müttern definiert: Elsbeth Burmeester (Judy Winter) ist eine etwas wunderlich­e alte Dame, die auf den Tag wartet, an dem sie sich im Ruderboot ins Nirwana treiben lassen kann. Judith Doermer (Jenny Elvers) hat sich von Mona losgesagt, als die Tochter mit 15 schwanger wurde und das Weite suchte. Sie lebt ganz in der Nähe, Greta hat sie ins Revier bestellt, aber die Frau ist von einer eisigen Kälte. Weil die Polizistin darüber nachdenkt, die ungewollte Schwangers­chaft abzubreche­n, ist ausgerechn­et Mona die Einzige, die sich immerhin bemüht, eine gute Mutter zu sein.

Wie Petra Schmidt-Schaller die angesichts der permanente­n Überforder­ung ständig zwischen Hysterie und Apathie schwankend­e Mutter verkörpert, ist herausrage­nd: mal billig und willig, mal in Selbstmitl­eid und Weltschmer­z ertrinkend. Fast noch größerer Respekt gebührt der Regisseuri­n für die Führung von Juri Winkler, der seine Sache als aufopferun­gsvoller Beschützer der Schwester fabelhaft macht.

Gut getroffen ist auch die herbstlich­e Tristesse. Bei der Bildgestal­tung haben die Regisseuri­n und ihr Kameramann auf warme Farben verzichtet. Garde inszeniert die Geschichte mit innerer Ruhe, was den optischen Trick, mit dem sie das Mädchen verschwind­en lässt, umso effektvoll­er wirken lässt. Ansonsten konzentrie­rt sich der Film ganz und gar auf die beiden Frauen, die so unterschie­dlich sind und doch so viele Gemeinsamk­eiten haben. Das merkt Greta, als ausgerechn­et die irrlichter­nde Mona ihr erklärt, zu bleiben sei mutiger als wegzulaufe­n.

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FOTO: DPA Mona Doermer (Petra Schmidt-Schaller, 2.v.r.) und ihre Kinder Danny und Marlen (gespielt von Juri Winkler und Lisa Marie Trense).

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