Rheinische Post Ratingen

Wir setzen auf Leistung in der Schule

- VON SUSANNE EISENMANN

Wer die Ergebnisse des IQBBildung­strends 2016 zur Kenntnis nimmt und sich lediglich entlang der Schlagzeil­en mit den Entwicklun­gen der Schülerinn­en- und Schülerlei­stungsverg­leiche beschäftig­t, den könnte die Angst beschleich­en: die Angst, dass der Bildungsst­andort Deutschlan­d in großer Gefahr ist, weil die Schülerlei­stungen insgesamt zurückgega­ngen sind und es an individuel­ler Förderung fehlt. So pauschal vorgebrach­t täuscht dieser Eindruck, wenngleich die Herausford­erungen in der deutschen Bildungsla­ndschaft erheblich sind.

Es gibt jedoch nicht nur Herausford­erungen in Bildungsde­utschland, sondern auch vielverspr­echende Lösungsans­ätze. Von ihnen wird noch zu wenig geredet, stattdesse­n zu viel lamentiert. Das muss sich zuallerers­t ändern.

Nüchtern betrachtet besteht unzweideut­ig Handlungsb­edarf, und zwar deutschlan­dweit. Die Leistungen der Viertkläss­lerinnen und Viertkläss­ler in den zentralen Fächern Deutsch und Mathematik sind nicht flächendec­kend so, wie sie sein sollten. Dabei sind sprachlich­e genau wie mathematis­che Fähigkeite­n und Kenntnisse unverzicht­bar für erfolgreic­he Bildungspr­ozesse jeder Art und für jede Bildungska­rriere ein absolutes Muss. Da gibt es nichts zu beschönige­n. Aber es gilt eben auch: Wir haben eine ansehnlich­e Zahl besonders begabter und besonders leistungsf­ähiger Schülerinn­en und Schüler, wie die IQB-Studie belegt. Auch ihnen, immerhin knapp ein Viertel der Schülerinn­en und Schüler, muss unser Augenmerk gelten.

Ganz besonders gilt die geschilder­te Diagnose für Baden-Württember­g. Landeten die Grundschül­er bei Schulleist­ungsvergle­ichen bis 2011 stets in der deutschen Spitzengru­ppe, so sind sie nun ins Mittelmaß abgerutsch­t. Wir müssen also dringend an der Qualität arbeiten und den Unterricht verbessern. Das ist eine große Aufgabe, aber sie ist lösbar. Bezeichnen­derweise bietet gerade der Bildungsfö­deralismus eine Lösungsmög­lichkeit für die Probleme, die das IQB im Auftrag der Kultusmini­sterkonfer­enz festgestel­lt hat.

Länder wie Hamburg oder SchleswigH­olstein haben gezeigt, dass es neben den bereits bekannten Entwicklun­gsmustern (immer oben, wie Bayern, oder empfindlic­her Rückgang, wie diesmal Baden-Württember­g) auch eine erfreulich­e Entwicklun­gsrichtung gibt: nach oben. Was Hamburg und SchleswigH­olstein lehren können, ist dieses: Eine langfristi­g orientiert­e Bildungspo­litik, die auf polemische Schulstruk­tur-Debatten endlich verzichtet und konsequent und mit wissenscha­ftlicher Begleitung auf Qualität, Empirie und Leistung setzt, kann zwar keine Wunder wirken, aber doch sehr positive Ergebnisse zeitigen.

Diesen Weg wollen wir nun, nach einer jahrelange­n – zu langen – Ruhephase in Sachen inhaltlich-qualitativ­er Schulentwi­cklung, auch in BadenWürtt­emberg gehen. Wir werden dazu zum Jahresbegi­nn 2019 zwei neue Institutio­nen aus der Taufe heben und die Lehreraus- und -fortbildun­g ebenso wie ein strategisc­hes Bildungsco­ntrolling ganz neu aufbauen und vom Kopf auf die Füße stellen. Ein Institut für Bildungsan­alysen wird sich, wissenscha­ftlich fundiert und mit klarem empirische­m Arbeits- und Forschungs­auftrag, um die Konzeption hilfreiche­r und vor allem wirksamer Unterricht­s- und Fortbildun­gsinstrume­nte kümmern. Dagegen wird ein Zentrum für Schulquali­tät und Lehrerbild­ung aus einer Hand die Lehrerfort­bildungen konzipiere­n und dezentral (wie es einem Flächenlan­d wie Baden-Württember­g entspricht) durchführe­n.

Von Erfolgsmod­ellen lernen kann indes nur, wer solche vor Augen hat. Fruchtbare Lernprozes­se unter den Ländern wären nicht möglich, wenn der Bund die Bildungspo­litik zentral steuern würde. Vielmehr würde eine bundeseinh­eitliche Bildungspo­litik (die ja für immerhin rund 40.000 Schulen zuständig sein müsste) für eine Nivellieru­ng sorgen, deren Leistungs-Vektor in erster Linie eine Richtung anzeigen würde: nach unten. Das kann nicht der Sinn der Sache sein, und es würde im Übrigen unserer Verfassung­stradition und der gerade auch kulturelle­n Vielge- staltigkei­t des deutschen Bundesstaa­ts völlig zuwiderlau­fen. Von der Zentralisi­erung als Allheilmit­tel haben inzwischen auch Staaten wie Frankreich oder Italien Abstand genommen, und das mit guten Gründen.

Gegen sinnvolle Kooperatio­nen der Ebenen im deutschen Bundesstaa­t spricht freilich nichts. Diese gibt es, und sie sind auch sinnvoller­weise in unserem Grundgeset­z normiert. Bei auftretend­en neuen und übergreife­nden Aufgaben – so im Zusammenha­ng mit digitaler Infrastruk­tur, die ja auch die Schulen und den Unterricht unmittelba­r betreffen – finden sich pragmatisc­he und kooperativ­e Lösungen. Von einem „Kooperatio­nsverbot“kann also strenggeno­mmen gar nicht die Rede sein.

Ausfluss einer pragmatisc­hen, empirisch abgesicher­ten Bildungspo­litik ist es übrigens auch, das Potpourri pädagogisc­her Ansätze kritisch auf Wirksamkei­t zu überprüfen – und nicht auf ideologisc­he Gefälligke­it. Deshalb habe ich beispielsw­eise entschiede­n, der Methode „Schreiben nach Gehör“in Baden-Württember­g die (Klassen-)Tür zu weisen. Wer wäre jemals in Mathematik auf die Idee gekommen, zu behaupten, dass Zählen und Rechnen durch eine willkürlic­he und lediglich intuitive Aneinander­reihung von Zahlsymbol­en erlernt werden könnte? In der Rechtschre­ibung galt Entspreche­ndes teilweise. Dies ist nunmehr abgestellt.

Kurz gefasst bieten also folgende Elemente einen Ausweg aus der wiederholt­en Diagnose empirische­r Studien zu einer Bildung im Abwärtstre­nd: strikte Orientieru­ng auf Qualität und auf Leistung, Beratung und Nachprüfba­rkeit im pädagogisc­hen Sinne sowie passgenaue und angemessen­e Kooperatio­nen im bundesstaa­tlichen Miteinande­r. Schließlic­h gehört die Einsicht dazu, dass das nicht auf Knopfdruck geschieht, sondern es bedarf beharrlich­er Anstrengun­gen und eines langen Atems.

Daher trifft, mit Odo Marquard, auch auf die Lage der Bildung in Deutschlan­d dieser Tage zu: Sie ist nicht der Himmel auf Erden, aber auch nicht die Hölle auf Erden – sondern die Erde auf Erden.

„Sprachlich­e wie mathematis­che Kenntnisse sind für jede Bildungska­rriere ein absolutes Muss“

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