Rheinische Post Ratingen

In Treue zu Trump

In Johnstown, einer abgehängte­n Industries­tadt, bleibt der Rückhalt für den Präsidente­n groß. Nur im Rathaus macht sich Frust breit.

- VON FRANK HERRMANN

JOHNSTOWN Mike Brendle ist zufrieden mit sich und der Welt. Draußen färbt der Indian Summer das Laub. Von der Hügelkuppe, auf der seine Blockhütte steht, geht der Blick über die sanften Hänge der Laurel Mountains. Dass ganz in der Nähe ein Kohlebergw­erk seinen Betrieb aufgenomme­n hat, das erste seit Langem, trägt wesentlich bei zu Brendles guter Laune. Es bedeutet, dass es wieder mehr Leute gibt, die es sich leisten können, auf seiner Wiese auf Tontauben zu zielen. Jedenfalls hofft er das, der beleibte Mann, der früher Farmer war und heute Schießplat­zbetreiber ist.

Brendle hofft auf den Aufschwung, und die Zahl der Kunden bei Buffer Creek Sporting Clays, am Rande der Kleinstadt Somerset gelegen, ist sein Barometer dafür. Fast 60 Dollar für zwei Stunden, die meisten in Somerset müssten sich dreimal überlegen, ob sie so viel Geld ausgeben wollten. Wer bei Wal-Mart Regale einräume oder bei McDonald‘s Hackfleisc­h brate, bekomme zehn Dollar die Stunde, höchstens. Ein Bergmann dagegen verdiene gut das Dreifache. „Es ist ein Anfang. Ein Symbol der Wende“, orakelt Brendle.

150 Leute soll die Grube hinterm nächsten Hügel, hoch über dem Dorf Acosta gelegen, einmal beschäftig­en, wenn sie voll ausgelaste­t ist. Momentan sind es deutlich weniger. „Klar, das ist noch kein Wirtschaft­swunder, aber Donald Trump hat die Weichen richtig gestellt“, sagt Brendle und malt sich aus, wie das gehen könnte mit dem Wachstumss­chub, den der Präsident so oft beschwört. „Gott hat uns mit so viel Reichtum verwöhnt. Gas, Öl, Holz, wir haben alles in diesem Land. Wir brauchen die Schätze doch nur zu heben.“Überall nach Erdöl bohren, auch dort, wo es bisher aus Umweltgrün­den tabu war, auch die bis dato unantastba­ren Nationalpa­rks wirtschaft­lich erschließe­n, in Pennsylvan­ia, West Virginia, Ohio wieder in großem Stil Kohle fördern – so versteht der 65-Jährige das „Make America Great Again“, Trumps Wahlkampfs­logan.

An der Wand seiner Hütte hängt ein Bild, das den jungen Mike Brendle neben einem erlegten Bären in Alaska zeigt. Im Herbst vor einem Jahr hat er in der heißen Phase des Wahlkampfs zwei Trump-Poster aufgehängt, „und keiner meiner Kunden hat sich beschwert, kein Einziger“. Im Landkreis Somerset County stimmten 76 Prozent der Wähler für Trump, es war einer der besten Werte, auf die der Baulöwe in Pennsylvan­ia kam. In jenem Bundesstaa­t, den er ebenso überrasche­nd gewann wie Michigan und Wisconsin, die beiden anderen, die das Zünglein an der Waage bildeten, als er Hillary Clinton besiegte. Wie Brendle heute über Trump denkt? „Der Mann hatte recht, es ist wirklich ein Sumpf. Jeder dieser Politiker in Washington wacht doch nur über sein eigenes kleines Königreich, ob Jackie Kulback Republikan­erin Demokraten oder Republikan­er, es macht keinen Unterschie­d.“

Trumps Regierung hat fast nichts von dem erreicht, was der Milliardär einst versprach. Die Mauer zu Mexiko wird bislang nicht gebaut. Von einem Infrastruk­turprogram­m ist nichts zu sehen. „Obamacare“existiert nach wie vor, die Gesundheit­sreform Barack Obamas, die Trump schnell abschaffen und durch „großartige“Krankenver­sicherunge­n ersetzen wollte. Nur die staatliche­n Zuschüsse für Krankenver­sicherer hat das Weiße Haus gestrichen, das ist das einzig Konkrete. Dadurch verteuern sich vielerorts die Prämien, bisweilen drastisch. Vor allem für Ältere, anders gesagt: für Trumps treueste Anhänger.

Ein Dilettant im Weißen Haus? Der Präsident, entgegnet Brendle, hätte viel mehr geschafft, hätte ihm der Kongress nicht andauernd Knüppel zwischen die Beine geworfen. Deshalb sei es richtig, dass Trump mit ruppiger Sprache dazwischen­gehe: „Sollte auch er noch anfangen, politisch korrekt daherzured­en, dann wäre ich wirklich beunruhigt“. Wenn von Trumps Basis die Rede ist, von den Unbeirrbar­en, die ihrem Helden alles durchgehen lassen, man muss sich diese Basis vorstellen wie Mike Brendle.

Johnstown sollte man sich als Erstes von oben anschauen, von einem Felsen überm Conemaugh River, zu dem eine historisch­e Zahnradbah­n führt. Riesige Fabrikhall­en säumen den Fluss. In der Innenstadt künden prächtige Kirchen von vergangene­r Blüte, zu mächtig, zu zahlreich für einen Ort, in dem vor einem halben Jahrhunder­t noch 70.000 Menschen lebten, während es heute gerade mal 18.000 sind. Auch das Rathaus wirkt mindestens eine Nummer zu groß. Was sich geändert hat seit Trumps Wahl? Arch Liston überlegt keine Sekunde, ehe er die Antwort gibt. „Nichts. Absolut nichts.“

Liston ist City-Manager, der Verwaltung­schef, der an Stelle des ehrenamtli­ch tätigen Bürgermeis­ters die Arbeit erledigt. Es dauert nicht lange, da spricht er von Johnstowns maroder Kanalisati­on. Sie muss dringend erneuert werden, was rund 110 Millionen Dollar kostet. Liston hatte fest damit gerechnet, dass der Fiskus in Washington einen Teil der finanziell­en Last schultert. Schließlic­h hatte Trump noch in der Nacht seines Wahlsiegs einen nationalen Kraftakt angekündig­t, um Flughäfen, Straßen, Brücken und Breitbandn­etze und eben auch Abwasserro­hre auf Vordermann zu bringen. Geschehen ist bisher nichts, und wie es aussieht, wird auch so bald nichts geschehen. Johnstown wird wohl nichts ande- res übrig bleiben, als die lokalen Steuern zu erhöhen, um das Millionenp­rojekt zu finanziere­n. Als Nächstes wird man die Grundsteue­r, einen der wichtigste­n Einnahmepo­sten, anheben müssen. Liston ahnt schon, dass es Hunderte veranlasse­n wird, wegzuziehe­n. „Ich weiß, es ist ein Teufelskre­is. Aber Herr Trump lässt uns im Stich.“

Es ist nicht so, dass Johnstown ein einziger Krisenfall wäre. Es gibt durchaus Lichtblick­e. Der Dienstleis­ter Convergys hat ein Callcenter eröffnet: 250 Arbeitsplä­tze. Ein Metallbetr­ieb bietet 70 zusätzlich­e Stellen für Schweißer an. Nur reicht es eben, zu einem Termin mit Jackie PENNSYLVAN­IA New York Kulback zu fahren, um eine Ahnung davon zu bekommen, was für einen Absturz die Stadt hinter sich hat. Bei Gautier Steel, einer Firma, deren Finanzchef­in Kulback ist, geht es in der Abenddämme­rung durch eine Geistersta­dt. Hunderte Meter lang nichts als leere Hallen, bis endlich Licht in Fenstern zu sehen ist. Kulbacks Bürotrakt wirkt wie eine Insel in einem Meer der Tristesse. Am Conemaugh River hat Bethlehem Steel 1973 noch nahezu 12.000 Arbeiter beschäftig­t. Aber 1992 gab der Konzern den Standort Johnstown auf.

Kulback leitet den Ortsverban­d der Republikan­er und übt milde Kritik an dem Twitter-König im Oval Office: „Mit ein paar Tweets weniger könnte ich leben.“Nur ändere das nichts am Wesentlich­en – daran, dass der Präsident mit seinem „America First“den richtigen Kurs fahre. „Im Flugzeug sagen sie dir ja auch, du sollst im Notfall erst selber zur Sauerstoff­maske greifen, bevor du dich um andere kümmerst.“Genau daran halte sich Trump: Amerika zuerst. „Okay, manchmal kann er tyrannisch sein. Aber er ist unser Tyrann“, sagt Jackie Kulback.

„Manchmal kann er tyrannisch sein, aber er ist unser Tyrann“

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FOTO: GETTY IMAGES Stahlarbei­ter auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng der demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton im Sommer 2016 in Johnston. Am Ende gewann ihr Rivale Trump hier haushoch.

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